Piraten von Tortuga
En Garde, parte deux
Tortuga war eine lebendige Stadt. Die Hochburg der Piraten der Karibik quoll über von tüchtigen Bürgern und Vertriebenen, von Gesetzlosen und Handelsschaffenden. Es galt das Recht des Goldes und des Stärkeren, und von beidem hatten die Mächtigsten reichlich. Schmugglerkönige, Bettelprinzen und Bandenführer standen jenen gegenüber, welche ihre Arbeit als ehrlich ansahen. Man schloss sich in Gilden zusammen, zahlte sein Schutzgeld und verrichtete sein Tagwerk. In Tortuga starben viele den grausamen Tod, Seeräuber und andere Verbrecher trugen ihre Dispute mit blanker Klinge aus. Doch wen man fürchtete, dem ließ man die Ruhe, welche er sich schuf, wenn er sie denn fand.
Eine Halle im Norden der Stadt bot einem solch Gefürchteten diese Ungestörtheit. Licht fiel durch die Löcher der hohen Decke, Staub tanzte durch die Luft einer alten Scheune, welche längst leer geplündert war. Rostige Ketten hingen noch an der Wand, und daumendicke Nägel auf dem Boden, feinsäuberlich zusammengetragen in einer Ecke. Denn der Gefürchtete brauchte nicht nur Ruhe, sondern auch Platz.
Kreise waren in den dicken Staub gezeichnet, unkonzentrisch und wie eine Spirale zur Mitte hin weniger durchmessend. Der schwarze Kojote führte ein Rapier aus edlem Toledostahl, biegsam und doch unzerbrechlich, in seiner linken Hand. Der Oberkörper war frei, eine rote Hose schmiegte sich um den schlanken Rumpf. Seine Bewegungen waren kraftvoll, elegant, und an einen tödlichen Tanz erinnernd. Das Holz knarrte unter seinen Schritten, welche dem Kreis folgten. Je näher er dem Mittelpunkt kam, umso schneller wurden die Stiche und Stöße, sie zerpeitschten die Luft und wirbelten den Staub auf. Am Ende einer harten Übung stand er inmitten des Kreises, schwang das Rapier in weitem Bogen und rammte es vor seinen Füßen in die Planken.
Sein Kopf war gesenkt. Eine verschwitzte, blonde Mähne, Zeichen der Könige und der Engel, verdeckte sein vernarbtes Gesicht. Eine Narbe zog sich quer über seine Schnauze, doch eine weitaus schlimmere von der rechten Stirnseite bis zur Wange hinab. Dazwischen verbarg eine rote Augenbinde eine grässliche Verwachsung einer leeren Höhle. Das ihm gebliebene, ozeanblaue Auge war geschlossen, und er hörte seinen rasenden Puls.
Ein Klatschen war hinter ihm zu hören und riss ihn aus der Konzentration. “Tres bien, Monsieur Blackspell”, sagte eine ihm vertraute, tiefe Stimme.
“So heiße ich nicht mehr”, antwortete der Kojote, der seinen Kopf hob und nach dem Rapier griff, um sich damit zum Besucher umzudrehen. Der schwarze Rüde sah einen hoch gewachsenen, grauen Wolf mittleren Alters mit kräftigen Armen und muskulösem Körperbau. Braune Locken waren nur mühsam mit einem Kopftuch gezähmt, dagegen der Bart fein getrimmt. Auch dem Wolf fehlte das rechte Auge, welches er unter schwarzem Tuch verbarg. An seiner Seite hing ein Degen, und das schwarze Hemd trug er offen, um seine stark behaarte, männliche Brust anzudeuten.
“Mein Name ist Ravenscar”, raunte der Kojote.
“Pardon, ich vergaß”, sagte der Wolf lächelnd und kam näher. “Das letzte Mal als ich Euch sah, da führtet Ihr noch Euren richtigen Namen. Ihr ward noch Logan Silvers Gefangener, und das Possenspiel seines Obermaats brachte mich um meine Revanche.”
“Ich erinnere mich ebenfalls. Silver hat Euch Eure Grenzen im Zweikampf aufgezeigt.” Ravenscar setzte ein spitzbübisches Lächeln auf. Beide mussten lachen, doch keiner traute dem anderen.
“Was führt Euch zu mir, Capitaine de Grammont?”, fragte er, der unter dem Namen Dwight Blackspell geboren wurde. “Wollt Ihr nun Eure Genugtuung aufs weitere Mal einfordern?”
Michel de Grammont hob den Kopf, und die leichte Verärgerung war ihm ins Gesicht geschrieben. “Ich muss gestehen, dass mich dieser Gedanke reizt. Nun seid Ihr wieder Kapitän eines Schiffes und wir könnten uns duellieren. Aber deswegen bin ich nicht hier. Euer Ableben liegt nicht in meinem Interesse.”
“Jedenfalls nicht heute”, sprach Ravenscar aus, was beide dachten.
“Eine Übung gefällig?”, fragte de Grammont wölfisch grinsend.
“Gerne, besser als gegen meinen Schatten zu kämpfen.”
Michel zog sein Hemd aus und zog seine Waffe. Obwohl Ravenscar über eine Toledoklinge verfügte, so wirkte sie mit ihrer silbern glänzenden, kleinen Parierscheibe schmucklos gegen den prachtvoll verzierten Griffkorb von de Grammonts Degen. Beide positionierten sich, als wären sie in einer Fechtschule.
“En garde!” rief de Grammont, und Ravenscar eröffnete den Schlagabtausch. Beide ließen ihre tödlichen Stiche und Hiebe in ihren Repertoires, doch der Waffengang war keineswegs ungefährlich. Der Walliser trieb Michel zu Beginn mit einigen schönen Finten zurück. Als Linkshänder war Ravenscar im Vorteil, denn Michel musste die Angriffe mehr erahnen denn berechnen, da ihm das rechte Auge fehlte. Geschickt löste sich der Wolf mit einer Drehung aus dem Ausfall und gewann Abstand zum Kojoten. “Mich interessiert, wie Ihr Neckbiter Jones zur Strecke gebracht habt, Monsieur Ravenscar”. Den selbst gegebenen Namen zog de Grammont verächtlich lang. “Mit einem Stich ins Herz vielleicht?”
“Jones hat kein Herz.“ Ravenscar hatte bereits zum Wolf aufgeschlossen und fing seine Angriffe von neuem aus an. Einmal stach das Rapier gefährlich nahe an der Wange des Franzosen vorbei. “Ich habe ihn nicht getötet”, sagte der Kojote kalt, und dieser Satz war die einzige Verschnaufpause, die er dem Wolf gab, ehe dieser sich erneut den Angriffen entziehen konnte.
“Und was habt Ihr dann mit ihm …” Noch ehe de Grammont mit seinem Satz fertig war, stand Ravenscar wieder bereit. Ein schneller Schritt nach vorne und urplötzlich sah der Franzose auf die Klingenspitze des Schwarzpelzigen, nur wenige Fingerbreit von seinem Auge entfernt. “Ihr wisst was man über Raben sagt, und ihre Vorliebe für Augen.”
Der Kapitän der Alexandria ging wieder in Ausgangsposition. Den ersten Waffengang hatte der Walliser für sich entscheiden können. Das musste de Grammont anerkennen, auch wenn er es nicht zeigte. Viel mehr ärgerte er sich innerlich, gleich zu Beginn düpiert worden zu sein. Im zweiten Durchlauf ging er daher zum Angriff über und versuchte an der Deckung des Kojoten vorbei zu kommen. Ravenscar war weder so groß noch so stark wie der Franzose, dafür aber jünger und schneller. Ihre Kampfstile waren unterschiedlich, der Pirat, der Chevalier genannt wurde und von Adel war, besuchte eine der besten Fechtakademien Frankreichs. Ravenscar dagegen lernte in Spanien bei den Großmeistern des Duells, deren Weisheit in der tödlichen Kunst von La Destreza, dem “magischen Kreis”, kulminierte. Ravenscar war ein unangenehmer Gegner, dessen Verteidigung man nur schwer durchbrechen konnte. Er ahnte Michels Züge voraus und war selbst auf ungewollte Bewegungen vorbereitet. “Ihr hattet Eure Rache”, sagte er nach erfolglosem Versuch, und beide gingen wieder in Position. “Erfreut sie Euch?”
Das blaue Auge fixierte den Wolf kühl und emotionslos. “Es hat mich nicht glücklich gemacht. Jones ist fort, der Schmerz blieb.” Michel de Grammont schnaufte zustimmend.
Im dritten Anlauf wurde er dann kalt erwischt. Eine schnelle Bewegung, und der Kojote hatte ihm mit der flachen Seite seiner Klinge auf die Schwerthand geschlagen. Der Degen fiel auf die Bretter, doch anstelle seine Chance zu nutzen, ging Ravenscar einen Schritt zurück und wartete, bis der Pirat seine Waffe wieder aufgehoben hatte. “Ich muss gestehen, auch wenn ich in Euch oft einen Feind sehe, so versteht niemand den Schmerz, den ich mit mir trage, so gut wie Ihr”, sagte Michel.
Bedrohlich hob Ravenscar seinen Stahl. “Eure Fehde mit dem Alten ist anderer Natur, Monsieur Chevalier.” Daraufhin trieb er den Franzosen aus dem Kreis, ließ aber nach einigen Finten wieder von ihm ab. “Jones leiden zu sehen hat mich nicht glücklich gemacht, sein Tod hätte es erst recht nicht getan. Was versteht Ihr schon davon?”
De Grammont zeigte sich nun sichtlich verärgert. “Wie ich sehe seid Ihr immer noch nicht gut auf mich zu sprechen, Monsieur … Ravenscar.”
“Das mag gut sein, immerhin trachtet Ihr nach meinem Leben, seitdem Ihr Euer Duell gegen mich verloren habt. Mir wäre es lieber gewesen, Ihr würdet in Kingston baumeln, so wie es Admiral Johnson von Euch glaubt.”
Der Kojote schien gut informiert zu sein. Vor Monaten wurde ein Großteil von de Grammonts Mannschaft auf Jamaika aufgerieben, sein Schiff wurde versenkt, und mit einer Handvoll Getreuen konnte er durch den Sumpf entkommen. Der erbarmungslose Bullmastiff Admiral Johnson, genannt Hangin’ Johnny, den die Krone in die Karibik entsandte, um der Piraten Herr zu werden, hielt ihn für Tod. Doch es pfiffen alle Spatzen Tortugas von den Dächern, dass Michel de Grammont mitnichten tot war. Lediglich seine Crew zählte weniger Köpfe, und seine Fantôme war halb so groß wie die Revenge. Das änderte nichts an dessen Gefährlichkeit: Wo andere gescheitert wären, entging er dem Tod und lief nun wieder lachend durch die Gassen der Piratenstadt.
Ein weiteres Mal trugen beide einen Fechtkampf aus, dieses Mal nutzte Ravenscar seine Beinarbeit aus und duckte flink unter einem Hieb hindurch. Im Vorbeigehen tippte er mit der Klingenspitze de Grammonts Flanke - ein ernster Treffer wäre hier tödlich gewesen. “Ich verstehe Euch immer noch nicht, Monsieur Chevalier. Wollt Ihr mich wirklich nicht töten? Wenn ja, so könnte ich wenigstens mein wahres Können zeigen.”
“Eher die Neugierde, wieso Ihr als Piratenjäger ungehindert in Tortuga sein könnt”, erwiderte der Wolf.
“Vielleicht ist es Dankbarkeit. Kein Neckbiter Jones, kein Black Bear, Ihr wisst, was es heißt, unerwünscht an einem Ort zu sein.”
“Ich glaube, es liegt daran, dass Ihr Euch bei Silver liebkind gemacht habt”, bemerkte de Grammont bissig. “Ihn fürchtet man hier wie der Teufel das Weihwasser.”
“Wir gehen getrennte Wege. Es ist besser für uns beide”, sagte Ravenscar knapp und ging wieder in Position.
“Dann verratet mir, warum man Euch in Tortuga tatsächlich duldet? Ist es wegen der Versammlung der Piratenfürsten?”
Der Walliser antwortete in Form einer Attacke, und ein weiteres Mal nutzte er de Grammonts eingeschränktes Blickfeld für sich. Nur leicht tippte die Klingenspitze auf Michels Brust. Wieder ein tödlicher Treffer, wenn es Ravenscar gewollt hätte. “Das werdet Ihr noch früh genug erfahren, Monsieur Chevalier. Es wird Euch angenehm überraschen.”
Nach dieser Schmach blieb de Grammont im Kreis stehen. Es erzürnte ihn, dass der Kojote mit ihm spielte, da wäre es ihm lieber gewesen, wenn Ravenscar tatsächlich ernst gemacht hätte. Doch er würde sich später darüber ärgern. Der Wolf schluckte seine Wut und legte ein Lächeln auf. “Nun, wenn es Eure Zeit zulässt, wäret Ihr nicht an einem Geschäft mit mir interessiert?”
Einen Moment sahen sich beide an, und Ravenscar konnte in de Grammonts Blick lesen, was der Wolf dachte. “Der Alte.”
“Ganz recht. Mon ami Jonathan Black.”
“Black hat keine Freunde”, konterte der Walliser, “genau wie Ihr.”
“Sagt, Monsieur Ravenscar, wie viel Piratenjäger steckt noch in Euch?” Michel kam langsam auf ihn zu.
“Die Karibik ist voll von Männern wie Neckbiter Jones oder Redburn Rogers, Bestien von denen zu denken Ihr noch gar nicht angefangen habt.”
“Dann verstehen wir uns vielleicht doch. Ich biete Euch gutes Gold für Eure Dienste.”
“Wie viel?” fragte der Kojote.
“Fünftausend Dublonen, für Euch und Eure Mannschaft.”
Ohne Worte machte sich Ravenscar wieder bereit für den Kampf. De Grammont war nun entschlossen, diese Demütigungen zu beenden. Anfangs baute er Druck auf und trieb den Kojoten vor sich her, dann aber geriet er nach einem blitzschnellen Konter in Rücklage und musste mit den Armen rudern, um nicht umzufallen. In dieser Zeit hätte Ravenscar ihn leicht treffen können.
“Ihr geizt, Monsieur de Grammont. Mit Eurer Fechtkunst wie mit dem Gold.”
“Bei unserem letzten Duell wart Ihr nicht so glücklich”, raunte der Wolf.
“Und dennoch habe ich gewonnen. Das liegt daran, dass ich Euch damals erst einschätzen musste. Heute kenne ich Euren Stil. Französische Schule, präzise und vorsichtig, selbst Ihr als Wolf beugt Euch dem, was Ihr gelernt habt.”
Ein weiterer Durchlauf, und dieses Mal fand sich de Grammont entwaffnet vor. Ravenscar hielt am Ende seinen Degen mit einer Spur Schadenfreude in der Rechten, den Rapier auf Michels Kehle gerichtet.
“Heute Morgen kam Jonathan Black auf mich zu. Er hatte den gleichen Gedanken wie Ihr, und vielleicht schätzte er mich besser ein als Ihr mich, denn auch wenn er mich für einen Feind von Euch hielt, so war er bereit, mir das Doppelte zu bieten, und die Hälfte der Beute, die wir auf der Fantôme finden.”
Er warf Michel den Degen zu. Dieser zeigte sich verdutzt. “Ich dachte hier in aller Ruhe darüber nach, bis Ihr mich gestört habt, Monsieur de Grammont.” Ravenscar hob die Augenbraue, als der Wolf von sich aus wieder den Degen auf ihn richtete. “Dann seid Ihr nun mein Feind, Ravenscar.”
“Ich wäre es, wenn ich ihn nicht abgewiesen hätte.” Er musste lachen. “Grundgütiger, war er vielleicht darüber verärgert. ‘Einen Jonathan Black weist man nicht ab’, hat er gesagt.”
Das überraschte de Grammont nun. “Eine solch hohe Summe lehnt Ihr ab?” Er dachte mit fünftausend Dublonen Ravenscar mehr als ausreichend locken zu können, aber Black hätte ihm die Ausbeute eines Jahres bereitwillig gegeben.
“Jonathan Black hat keine Hand, welche er mir reichen kann, die ich auch annehmen würde. Er ist ein Teufel wie Neckbiter Jones, auf seine Art.”
Diese Aussage erfreute Michel zu hören. “Dann haben wir einen Handel?”
Ravenscar verzog das Gesicht und schnalzte mit der Zunge. “Ihr wollt ihn im Zweikampf besiegen, nicht wahr?”
De Grammont musste zugeben, dass er schon lange davon träumte, es Black auf diese Weise heimzuzahlen. “Aye. Er ist ein guter Fechter, nicht so gut wie Ihr natürlich”, schmeichelte der dem Kojoten. Dieser hatte jedoch nur harte Worte übrig. “Doch Euch ist er überlegen.”
“Es mag sein, dass er ebenfalls den spanischen Kreis beherrscht, aber …”
Diese Provokation ließ Ravenscars Auge rot ädern. “Black kennt diese Kunst nicht, sie ist ihm zu hoch. Seine Technik ist einfacher, weniger elegant.”
“Ihr habt ihn fechten sehen?”
“Aye. Black lehrte einem Gecken die Leviten. Das war am gestrigen Abend, und den Unglücklichen hat er die Kehle herausgerissen. Ich war zugegen, Black wollte mich kennen lernen, nur falls es Euch nicht langweilt, wenn ich darüber berichte.”
“Ich bin ganz Ohr”, meinte de Grammont und steckte seinen Degen weg.
“Er wollte mir schon gestern das Angebot unterbreiten, doch dieser arme Tropf von Schöngeist musste Genugtuung einfordern. Mitten auf der Straße, vor aller Leute Augen. Black hatte leichtes Spiel mit ihm. Er hat keine Miene verzogen, als er den Mann tötete.”
Anders hatte Michel den verhassten Dobermann auch nicht in Erinnerung.
“Und heute morgen nannte er diese Technik den Totentanz. Er glaubte, mich damit beeindrucken zu können.”
“Danse Macabre”, sagte de Grammont leise.
“Ein gewaltiger Unsinn. Black teilt den Körper seines Gegners wie ein Pentagramm auf und zielt Hände, Schultern und Leber an, statt Herz und Brust, das hebt er sich für den Coup de Grace auf.”
“Ihr meint, es sei eine umständliche Technik?”
“Seine Stärke ist die Beinarbeit, er verändert oft seine Position, aber ich denke, dadurch dass er einen schweren Haken hat dürfte man ihn leicht aus der Balance bringen. Und wenn er erst auf dem Boden liegt hat er keine Chance mehr. Aber sie reicht, um diesen Trampeln das Fürchten zu lehren.”
Ravenscar ließ den Rapier zurück in die Scheide gleiten, danach zog er sein Hemd und Waffengurt an. Eher beiläufig fuhr er seine Abfälligkeiten fort. “Natürlich könnte jemand, der seine Methode durchschaut, erkennen, dass er es auf Hände und Leber abgesehen hat und somit dessen Angriffe erahnen. Aber einen wahren Meister wird er damit nicht besiegen können. Sobald man dicht an ihm heran ist, nützen ihm diese Spielereien nichts mehr.”
Ravenscar nahm seinen Umhang vom Stuhl und legte ihn sich an, und schließlich setzte er einen Dreispitz auf den Kopf.
“Ich verzichte auf Euer Gold, Monsieur de Grammont, denn ich werde Euch nicht helfen.”
De Grammont rümpfte die Nase. “Ihr wolltet die Karibik vom Abschaum der Piraten befreien”, mahnte er den Kojoten.
“Das mag sein, dass ich das möchte. Nur entweder habt Ihr kein Gold und wollt mich foppen, damit meine Männer und ich Euch helfen, oder Ihr habt das Gold, und da wäre es einfacher zu warten, bis Ihr Euch gegen Black verausgabt habt. Dann müsste ich mir auch nicht überlegen, ob Ich Euch trauen kann oder nicht.”
“Ich könnte jemand anderen damit anheuern”, knurrte de Grammont.
“Wer in dieser Stadt außer Silver und uns beiden hat keine Angst vor Black? Nein”, sagte Ravenscar kopfschüttelnd, “Ihr findet niemanden.”
“Das werden wir schon sehen”, sagte de Grammont trotzig.
“Ich könnte mit Admiral Johnson sprechen, doch ob er Euch eine Hilfe wäre?”
Mit diesen Worten wandte er sich vom Franzosen ab und ging in Richtung Türe. “Gehabt Euch wohl, Monsieur Chevalier. Captain Black bleibt Euer Problem. Und ich hoffe, dass Ihr auf der Versammlung den Kodex einhaltet.”
Kaum hatte Ravenscar seine Hand auf den Türgriff gelegt, hörte er de Grammont hinter sich bedrohlich knurren. Er blickte über seine Schulter. “Ich denke, von einem Feind sollte man keine Hilfe erwarten”, sagte der Kojote zum Schluss und ging durch die Tür.
Michel de Grammont blieb allein in der Halle zurück, inmitten von Staubkreisen stehend. Er fragte sich, ob der Kodex der Piraten nicht auch bloß eine grobe Richtlinie wäre. Dann würde er auf der Versammlung dem Walliser den Schädel einschlagen können. Der Gedanke daran heiterte ihn für einen Moment auf, dann verließ er den Kampfplatz mürrisch knurrend.
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© 2008 by SilverMoonspell
Michel de Grammont & Jonathan Black © LeChevalier
Written in German.
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Another short and loose story part of the Stormborn spin-off "Piraten von Tortuga". Have fun reading it. :)
En Garde, parte deux
Tortuga war eine lebendige Stadt. Die Hochburg der Piraten der Karibik quoll über von tüchtigen Bürgern und Vertriebenen, von Gesetzlosen und Handelsschaffenden. Es galt das Recht des Goldes und des Stärkeren, und von beidem hatten die Mächtigsten reichlich. Schmugglerkönige, Bettelprinzen und Bandenführer standen jenen gegenüber, welche ihre Arbeit als ehrlich ansahen. Man schloss sich in Gilden zusammen, zahlte sein Schutzgeld und verrichtete sein Tagwerk. In Tortuga starben viele den grausamen Tod, Seeräuber und andere Verbrecher trugen ihre Dispute mit blanker Klinge aus. Doch wen man fürchtete, dem ließ man die Ruhe, welche er sich schuf, wenn er sie denn fand.
Eine Halle im Norden der Stadt bot einem solch Gefürchteten diese Ungestörtheit. Licht fiel durch die Löcher der hohen Decke, Staub tanzte durch die Luft einer alten Scheune, welche längst leer geplündert war. Rostige Ketten hingen noch an der Wand, und daumendicke Nägel auf dem Boden, feinsäuberlich zusammengetragen in einer Ecke. Denn der Gefürchtete brauchte nicht nur Ruhe, sondern auch Platz.
Kreise waren in den dicken Staub gezeichnet, unkonzentrisch und wie eine Spirale zur Mitte hin weniger durchmessend. Der schwarze Kojote führte ein Rapier aus edlem Toledostahl, biegsam und doch unzerbrechlich, in seiner linken Hand. Der Oberkörper war frei, eine rote Hose schmiegte sich um den schlanken Rumpf. Seine Bewegungen waren kraftvoll, elegant, und an einen tödlichen Tanz erinnernd. Das Holz knarrte unter seinen Schritten, welche dem Kreis folgten. Je näher er dem Mittelpunkt kam, umso schneller wurden die Stiche und Stöße, sie zerpeitschten die Luft und wirbelten den Staub auf. Am Ende einer harten Übung stand er inmitten des Kreises, schwang das Rapier in weitem Bogen und rammte es vor seinen Füßen in die Planken.
Sein Kopf war gesenkt. Eine verschwitzte, blonde Mähne, Zeichen der Könige und der Engel, verdeckte sein vernarbtes Gesicht. Eine Narbe zog sich quer über seine Schnauze, doch eine weitaus schlimmere von der rechten Stirnseite bis zur Wange hinab. Dazwischen verbarg eine rote Augenbinde eine grässliche Verwachsung einer leeren Höhle. Das ihm gebliebene, ozeanblaue Auge war geschlossen, und er hörte seinen rasenden Puls.
Ein Klatschen war hinter ihm zu hören und riss ihn aus der Konzentration. “Tres bien, Monsieur Blackspell”, sagte eine ihm vertraute, tiefe Stimme.
“So heiße ich nicht mehr”, antwortete der Kojote, der seinen Kopf hob und nach dem Rapier griff, um sich damit zum Besucher umzudrehen. Der schwarze Rüde sah einen hoch gewachsenen, grauen Wolf mittleren Alters mit kräftigen Armen und muskulösem Körperbau. Braune Locken waren nur mühsam mit einem Kopftuch gezähmt, dagegen der Bart fein getrimmt. Auch dem Wolf fehlte das rechte Auge, welches er unter schwarzem Tuch verbarg. An seiner Seite hing ein Degen, und das schwarze Hemd trug er offen, um seine stark behaarte, männliche Brust anzudeuten.
“Mein Name ist Ravenscar”, raunte der Kojote.
“Pardon, ich vergaß”, sagte der Wolf lächelnd und kam näher. “Das letzte Mal als ich Euch sah, da führtet Ihr noch Euren richtigen Namen. Ihr ward noch Logan Silvers Gefangener, und das Possenspiel seines Obermaats brachte mich um meine Revanche.”
“Ich erinnere mich ebenfalls. Silver hat Euch Eure Grenzen im Zweikampf aufgezeigt.” Ravenscar setzte ein spitzbübisches Lächeln auf. Beide mussten lachen, doch keiner traute dem anderen.
“Was führt Euch zu mir, Capitaine de Grammont?”, fragte er, der unter dem Namen Dwight Blackspell geboren wurde. “Wollt Ihr nun Eure Genugtuung aufs weitere Mal einfordern?”
Michel de Grammont hob den Kopf, und die leichte Verärgerung war ihm ins Gesicht geschrieben. “Ich muss gestehen, dass mich dieser Gedanke reizt. Nun seid Ihr wieder Kapitän eines Schiffes und wir könnten uns duellieren. Aber deswegen bin ich nicht hier. Euer Ableben liegt nicht in meinem Interesse.”
“Jedenfalls nicht heute”, sprach Ravenscar aus, was beide dachten.
“Eine Übung gefällig?”, fragte de Grammont wölfisch grinsend.
“Gerne, besser als gegen meinen Schatten zu kämpfen.”
Michel zog sein Hemd aus und zog seine Waffe. Obwohl Ravenscar über eine Toledoklinge verfügte, so wirkte sie mit ihrer silbern glänzenden, kleinen Parierscheibe schmucklos gegen den prachtvoll verzierten Griffkorb von de Grammonts Degen. Beide positionierten sich, als wären sie in einer Fechtschule.
“En garde!” rief de Grammont, und Ravenscar eröffnete den Schlagabtausch. Beide ließen ihre tödlichen Stiche und Hiebe in ihren Repertoires, doch der Waffengang war keineswegs ungefährlich. Der Walliser trieb Michel zu Beginn mit einigen schönen Finten zurück. Als Linkshänder war Ravenscar im Vorteil, denn Michel musste die Angriffe mehr erahnen denn berechnen, da ihm das rechte Auge fehlte. Geschickt löste sich der Wolf mit einer Drehung aus dem Ausfall und gewann Abstand zum Kojoten. “Mich interessiert, wie Ihr Neckbiter Jones zur Strecke gebracht habt, Monsieur Ravenscar”. Den selbst gegebenen Namen zog de Grammont verächtlich lang. “Mit einem Stich ins Herz vielleicht?”
“Jones hat kein Herz.“ Ravenscar hatte bereits zum Wolf aufgeschlossen und fing seine Angriffe von neuem aus an. Einmal stach das Rapier gefährlich nahe an der Wange des Franzosen vorbei. “Ich habe ihn nicht getötet”, sagte der Kojote kalt, und dieser Satz war die einzige Verschnaufpause, die er dem Wolf gab, ehe dieser sich erneut den Angriffen entziehen konnte.
“Und was habt Ihr dann mit ihm …” Noch ehe de Grammont mit seinem Satz fertig war, stand Ravenscar wieder bereit. Ein schneller Schritt nach vorne und urplötzlich sah der Franzose auf die Klingenspitze des Schwarzpelzigen, nur wenige Fingerbreit von seinem Auge entfernt. “Ihr wisst was man über Raben sagt, und ihre Vorliebe für Augen.”
Der Kapitän der Alexandria ging wieder in Ausgangsposition. Den ersten Waffengang hatte der Walliser für sich entscheiden können. Das musste de Grammont anerkennen, auch wenn er es nicht zeigte. Viel mehr ärgerte er sich innerlich, gleich zu Beginn düpiert worden zu sein. Im zweiten Durchlauf ging er daher zum Angriff über und versuchte an der Deckung des Kojoten vorbei zu kommen. Ravenscar war weder so groß noch so stark wie der Franzose, dafür aber jünger und schneller. Ihre Kampfstile waren unterschiedlich, der Pirat, der Chevalier genannt wurde und von Adel war, besuchte eine der besten Fechtakademien Frankreichs. Ravenscar dagegen lernte in Spanien bei den Großmeistern des Duells, deren Weisheit in der tödlichen Kunst von La Destreza, dem “magischen Kreis”, kulminierte. Ravenscar war ein unangenehmer Gegner, dessen Verteidigung man nur schwer durchbrechen konnte. Er ahnte Michels Züge voraus und war selbst auf ungewollte Bewegungen vorbereitet. “Ihr hattet Eure Rache”, sagte er nach erfolglosem Versuch, und beide gingen wieder in Position. “Erfreut sie Euch?”
Das blaue Auge fixierte den Wolf kühl und emotionslos. “Es hat mich nicht glücklich gemacht. Jones ist fort, der Schmerz blieb.” Michel de Grammont schnaufte zustimmend.
Im dritten Anlauf wurde er dann kalt erwischt. Eine schnelle Bewegung, und der Kojote hatte ihm mit der flachen Seite seiner Klinge auf die Schwerthand geschlagen. Der Degen fiel auf die Bretter, doch anstelle seine Chance zu nutzen, ging Ravenscar einen Schritt zurück und wartete, bis der Pirat seine Waffe wieder aufgehoben hatte. “Ich muss gestehen, auch wenn ich in Euch oft einen Feind sehe, so versteht niemand den Schmerz, den ich mit mir trage, so gut wie Ihr”, sagte Michel.
Bedrohlich hob Ravenscar seinen Stahl. “Eure Fehde mit dem Alten ist anderer Natur, Monsieur Chevalier.” Daraufhin trieb er den Franzosen aus dem Kreis, ließ aber nach einigen Finten wieder von ihm ab. “Jones leiden zu sehen hat mich nicht glücklich gemacht, sein Tod hätte es erst recht nicht getan. Was versteht Ihr schon davon?”
De Grammont zeigte sich nun sichtlich verärgert. “Wie ich sehe seid Ihr immer noch nicht gut auf mich zu sprechen, Monsieur … Ravenscar.”
“Das mag gut sein, immerhin trachtet Ihr nach meinem Leben, seitdem Ihr Euer Duell gegen mich verloren habt. Mir wäre es lieber gewesen, Ihr würdet in Kingston baumeln, so wie es Admiral Johnson von Euch glaubt.”
Der Kojote schien gut informiert zu sein. Vor Monaten wurde ein Großteil von de Grammonts Mannschaft auf Jamaika aufgerieben, sein Schiff wurde versenkt, und mit einer Handvoll Getreuen konnte er durch den Sumpf entkommen. Der erbarmungslose Bullmastiff Admiral Johnson, genannt Hangin’ Johnny, den die Krone in die Karibik entsandte, um der Piraten Herr zu werden, hielt ihn für Tod. Doch es pfiffen alle Spatzen Tortugas von den Dächern, dass Michel de Grammont mitnichten tot war. Lediglich seine Crew zählte weniger Köpfe, und seine Fantôme war halb so groß wie die Revenge. Das änderte nichts an dessen Gefährlichkeit: Wo andere gescheitert wären, entging er dem Tod und lief nun wieder lachend durch die Gassen der Piratenstadt.
Ein weiteres Mal trugen beide einen Fechtkampf aus, dieses Mal nutzte Ravenscar seine Beinarbeit aus und duckte flink unter einem Hieb hindurch. Im Vorbeigehen tippte er mit der Klingenspitze de Grammonts Flanke - ein ernster Treffer wäre hier tödlich gewesen. “Ich verstehe Euch immer noch nicht, Monsieur Chevalier. Wollt Ihr mich wirklich nicht töten? Wenn ja, so könnte ich wenigstens mein wahres Können zeigen.”
“Eher die Neugierde, wieso Ihr als Piratenjäger ungehindert in Tortuga sein könnt”, erwiderte der Wolf.
“Vielleicht ist es Dankbarkeit. Kein Neckbiter Jones, kein Black Bear, Ihr wisst, was es heißt, unerwünscht an einem Ort zu sein.”
“Ich glaube, es liegt daran, dass Ihr Euch bei Silver liebkind gemacht habt”, bemerkte de Grammont bissig. “Ihn fürchtet man hier wie der Teufel das Weihwasser.”
“Wir gehen getrennte Wege. Es ist besser für uns beide”, sagte Ravenscar knapp und ging wieder in Position.
“Dann verratet mir, warum man Euch in Tortuga tatsächlich duldet? Ist es wegen der Versammlung der Piratenfürsten?”
Der Walliser antwortete in Form einer Attacke, und ein weiteres Mal nutzte er de Grammonts eingeschränktes Blickfeld für sich. Nur leicht tippte die Klingenspitze auf Michels Brust. Wieder ein tödlicher Treffer, wenn es Ravenscar gewollt hätte. “Das werdet Ihr noch früh genug erfahren, Monsieur Chevalier. Es wird Euch angenehm überraschen.”
Nach dieser Schmach blieb de Grammont im Kreis stehen. Es erzürnte ihn, dass der Kojote mit ihm spielte, da wäre es ihm lieber gewesen, wenn Ravenscar tatsächlich ernst gemacht hätte. Doch er würde sich später darüber ärgern. Der Wolf schluckte seine Wut und legte ein Lächeln auf. “Nun, wenn es Eure Zeit zulässt, wäret Ihr nicht an einem Geschäft mit mir interessiert?”
Einen Moment sahen sich beide an, und Ravenscar konnte in de Grammonts Blick lesen, was der Wolf dachte. “Der Alte.”
“Ganz recht. Mon ami Jonathan Black.”
“Black hat keine Freunde”, konterte der Walliser, “genau wie Ihr.”
“Sagt, Monsieur Ravenscar, wie viel Piratenjäger steckt noch in Euch?” Michel kam langsam auf ihn zu.
“Die Karibik ist voll von Männern wie Neckbiter Jones oder Redburn Rogers, Bestien von denen zu denken Ihr noch gar nicht angefangen habt.”
“Dann verstehen wir uns vielleicht doch. Ich biete Euch gutes Gold für Eure Dienste.”
“Wie viel?” fragte der Kojote.
“Fünftausend Dublonen, für Euch und Eure Mannschaft.”
Ohne Worte machte sich Ravenscar wieder bereit für den Kampf. De Grammont war nun entschlossen, diese Demütigungen zu beenden. Anfangs baute er Druck auf und trieb den Kojoten vor sich her, dann aber geriet er nach einem blitzschnellen Konter in Rücklage und musste mit den Armen rudern, um nicht umzufallen. In dieser Zeit hätte Ravenscar ihn leicht treffen können.
“Ihr geizt, Monsieur de Grammont. Mit Eurer Fechtkunst wie mit dem Gold.”
“Bei unserem letzten Duell wart Ihr nicht so glücklich”, raunte der Wolf.
“Und dennoch habe ich gewonnen. Das liegt daran, dass ich Euch damals erst einschätzen musste. Heute kenne ich Euren Stil. Französische Schule, präzise und vorsichtig, selbst Ihr als Wolf beugt Euch dem, was Ihr gelernt habt.”
Ein weiterer Durchlauf, und dieses Mal fand sich de Grammont entwaffnet vor. Ravenscar hielt am Ende seinen Degen mit einer Spur Schadenfreude in der Rechten, den Rapier auf Michels Kehle gerichtet.
“Heute Morgen kam Jonathan Black auf mich zu. Er hatte den gleichen Gedanken wie Ihr, und vielleicht schätzte er mich besser ein als Ihr mich, denn auch wenn er mich für einen Feind von Euch hielt, so war er bereit, mir das Doppelte zu bieten, und die Hälfte der Beute, die wir auf der Fantôme finden.”
Er warf Michel den Degen zu. Dieser zeigte sich verdutzt. “Ich dachte hier in aller Ruhe darüber nach, bis Ihr mich gestört habt, Monsieur de Grammont.” Ravenscar hob die Augenbraue, als der Wolf von sich aus wieder den Degen auf ihn richtete. “Dann seid Ihr nun mein Feind, Ravenscar.”
“Ich wäre es, wenn ich ihn nicht abgewiesen hätte.” Er musste lachen. “Grundgütiger, war er vielleicht darüber verärgert. ‘Einen Jonathan Black weist man nicht ab’, hat er gesagt.”
Das überraschte de Grammont nun. “Eine solch hohe Summe lehnt Ihr ab?” Er dachte mit fünftausend Dublonen Ravenscar mehr als ausreichend locken zu können, aber Black hätte ihm die Ausbeute eines Jahres bereitwillig gegeben.
“Jonathan Black hat keine Hand, welche er mir reichen kann, die ich auch annehmen würde. Er ist ein Teufel wie Neckbiter Jones, auf seine Art.”
Diese Aussage erfreute Michel zu hören. “Dann haben wir einen Handel?”
Ravenscar verzog das Gesicht und schnalzte mit der Zunge. “Ihr wollt ihn im Zweikampf besiegen, nicht wahr?”
De Grammont musste zugeben, dass er schon lange davon träumte, es Black auf diese Weise heimzuzahlen. “Aye. Er ist ein guter Fechter, nicht so gut wie Ihr natürlich”, schmeichelte der dem Kojoten. Dieser hatte jedoch nur harte Worte übrig. “Doch Euch ist er überlegen.”
“Es mag sein, dass er ebenfalls den spanischen Kreis beherrscht, aber …”
Diese Provokation ließ Ravenscars Auge rot ädern. “Black kennt diese Kunst nicht, sie ist ihm zu hoch. Seine Technik ist einfacher, weniger elegant.”
“Ihr habt ihn fechten sehen?”
“Aye. Black lehrte einem Gecken die Leviten. Das war am gestrigen Abend, und den Unglücklichen hat er die Kehle herausgerissen. Ich war zugegen, Black wollte mich kennen lernen, nur falls es Euch nicht langweilt, wenn ich darüber berichte.”
“Ich bin ganz Ohr”, meinte de Grammont und steckte seinen Degen weg.
“Er wollte mir schon gestern das Angebot unterbreiten, doch dieser arme Tropf von Schöngeist musste Genugtuung einfordern. Mitten auf der Straße, vor aller Leute Augen. Black hatte leichtes Spiel mit ihm. Er hat keine Miene verzogen, als er den Mann tötete.”
Anders hatte Michel den verhassten Dobermann auch nicht in Erinnerung.
“Und heute morgen nannte er diese Technik den Totentanz. Er glaubte, mich damit beeindrucken zu können.”
“Danse Macabre”, sagte de Grammont leise.
“Ein gewaltiger Unsinn. Black teilt den Körper seines Gegners wie ein Pentagramm auf und zielt Hände, Schultern und Leber an, statt Herz und Brust, das hebt er sich für den Coup de Grace auf.”
“Ihr meint, es sei eine umständliche Technik?”
“Seine Stärke ist die Beinarbeit, er verändert oft seine Position, aber ich denke, dadurch dass er einen schweren Haken hat dürfte man ihn leicht aus der Balance bringen. Und wenn er erst auf dem Boden liegt hat er keine Chance mehr. Aber sie reicht, um diesen Trampeln das Fürchten zu lehren.”
Ravenscar ließ den Rapier zurück in die Scheide gleiten, danach zog er sein Hemd und Waffengurt an. Eher beiläufig fuhr er seine Abfälligkeiten fort. “Natürlich könnte jemand, der seine Methode durchschaut, erkennen, dass er es auf Hände und Leber abgesehen hat und somit dessen Angriffe erahnen. Aber einen wahren Meister wird er damit nicht besiegen können. Sobald man dicht an ihm heran ist, nützen ihm diese Spielereien nichts mehr.”
Ravenscar nahm seinen Umhang vom Stuhl und legte ihn sich an, und schließlich setzte er einen Dreispitz auf den Kopf.
“Ich verzichte auf Euer Gold, Monsieur de Grammont, denn ich werde Euch nicht helfen.”
De Grammont rümpfte die Nase. “Ihr wolltet die Karibik vom Abschaum der Piraten befreien”, mahnte er den Kojoten.
“Das mag sein, dass ich das möchte. Nur entweder habt Ihr kein Gold und wollt mich foppen, damit meine Männer und ich Euch helfen, oder Ihr habt das Gold, und da wäre es einfacher zu warten, bis Ihr Euch gegen Black verausgabt habt. Dann müsste ich mir auch nicht überlegen, ob Ich Euch trauen kann oder nicht.”
“Ich könnte jemand anderen damit anheuern”, knurrte de Grammont.
“Wer in dieser Stadt außer Silver und uns beiden hat keine Angst vor Black? Nein”, sagte Ravenscar kopfschüttelnd, “Ihr findet niemanden.”
“Das werden wir schon sehen”, sagte de Grammont trotzig.
“Ich könnte mit Admiral Johnson sprechen, doch ob er Euch eine Hilfe wäre?”
Mit diesen Worten wandte er sich vom Franzosen ab und ging in Richtung Türe. “Gehabt Euch wohl, Monsieur Chevalier. Captain Black bleibt Euer Problem. Und ich hoffe, dass Ihr auf der Versammlung den Kodex einhaltet.”
Kaum hatte Ravenscar seine Hand auf den Türgriff gelegt, hörte er de Grammont hinter sich bedrohlich knurren. Er blickte über seine Schulter. “Ich denke, von einem Feind sollte man keine Hilfe erwarten”, sagte der Kojote zum Schluss und ging durch die Tür.
Michel de Grammont blieb allein in der Halle zurück, inmitten von Staubkreisen stehend. Er fragte sich, ob der Kodex der Piraten nicht auch bloß eine grobe Richtlinie wäre. Dann würde er auf der Versammlung dem Walliser den Schädel einschlagen können. Der Gedanke daran heiterte ihn für einen Moment auf, dann verließ er den Kampfplatz mürrisch knurrend.
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© 2008 by SilverMoonspell
Michel de Grammont & Jonathan Black © LeChevalier
Written in German.
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Another short and loose story part of the Stormborn spin-off "Piraten von Tortuga". Have fun reading it. :)
Category Story / All
Species Unspecified / Any
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