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Five Dragons: DLvP: Kapitel 18: Die Zeit wird Knapp
Angestrengt hob der Schmied den Griff des Blasebalgs an und drückte ihn wieder nach unten. Ein tiefes Zischen begleitete den kräftigen Luftstoss in den brennenden Kohleofen. Die Hitze drang in einer grossen Welle aus der Glut und dicke Schweissperlen glänzten unterhalb seiner knöchernen Stirnplatte, als er den glühenden Stahl aus dem Feuer zog. Die unfertige Waffe auf dem Amboss platziert holte er mit seinem Schmiedehammer aus. Ein helles Klirren begleitete den Funkenflug, als das Werkzeug zielgenau auf den weichen Stahl niederging. Schlag um Schlag bearbeitete er das Material und liess den Amboss singen.
Prüfend blickte er seine Arbeit an. Er legte den Hammer zur Seite und wischte sich den Schweiss aus dem rauen Gesicht. In einer schnellen Bewegung tauchte er den heissen Stahl in ein gefülltes Wasserbecken. Dampfend zischte das Metall in dem kalten Wasserbad. Die noch stumpfe Klinge herausgezogen, drehte er sie einmal geschickt vor sich her. Sein kontrollierender Blick schweifte über die gerade Kante, während er das Werkstück vor seinem Gesicht vorbeiführte. Mit einer gekonnten Bewegung schwang er es in Richtung Eingang.
„Hoppla!“, schreckte Roland auf und hob beide Hände hoch, als ihm der Schmied die Spitze der unfertigen Waffe ungewollt ins Gesicht hielt. „Was wollt ihr denn?“, fragte er mit seiner tiefen, rauen Stimme. Fordernd sah er den jungen Mann mit seinen gelben liedlosen Augen an. Die matte Farbe stach regelrecht unter seinen kantigen Augenbrauen hervor.
Roland schluckte einmal leer, während er den Grasxen ansah und senkte seine Hände wieder. „Ich suche jemanden, der mir Obsidiansplitter verkaufen kann“, antwortete er. Der Schmied hob verwundert eine Augenbraue. „Warte draussen“, sprach er gelassen und drehte sich um. Roland nickte einmal wortlos und machte dabei grosse Augen. Etwas unsicher ging er wieder hinaus und wartete vor dem Eingang auf den Besitzer der Schmiede. Kyndle schnupperte währenddessen neugierig an den Waffen und Schilden, welche auf dem schmalen Verkaufstand aufgereiht waren. „Hey!“, gab Roland hastig von sich, bevor sie mit ihrer Nase beinahe einen der Schilde von dem Tisch gestossen hätte. Das Weibchen zuckte kurz und blickte ihren Partner verspielt an. Neckisch streckte sie dabei ihre Zungenspitze aus dem Maul und gurrte leise. Ein stilles Kopfschütteln erwiderte er darauf.
Der Schmied kam mit schweren Schritten aus der Werkstatt und warf Roland einen kleinen Lederbeutel zu. Etwas unbeholfen fing er die kleine Tasche auf und schüttelte sie in seiner Hand. Es fühlte sich an, als wären kleine spitze Steine darin. Den Beutel geöffnet betrachtete er den Inhalt. Zahlreiche Gesteinssplitter waren darin, die eine matte schwarze Färbung aufwiesen. Beim Schütteln des Beutels klangen sie wie Glasscherben.
„3 Golddrachen“, forderte der Schmied nüchtern. Roland hob verwundert die Augenbrauen und blickte dem Handwerker in seine auffälligen Augen. „Ähm, ja“, sagte er leicht verwirrt und zog seinen Geldbeutel heraus.
Kyndle schnupperte unterdessen aufgeregt an einer Plattenrüstung, welche auf einer Holzfigur aufgestellt war. Die kleinen Platten schichteten sich übereinander wie das Schuppenkleid eines Drachens. Grösse und Form wirkten allerdings wie für einen Greifen, da der längliche Helm die Form eines breiten Schnabels aufwies. Die Nase kurz an dem Metall angelehnt kippte der Rüstungsständer unverhofft um. Das Weibchen schreckte mit einem lauten „Meep“ auf, bevor das geräuschvolle Scheppern über die Strasse flog.
Roland war gerade dabei, drei Goldmünzen in die wuchtige Hand des Schmiedes zu legen, als die Aufmerksamkeit der beiden, und auch die der ganzen Strasse, zu der umgefallenen Rüstung und einem verlegen dreinschauenden Drachenweibchen wanderte. Roland neigte sein Gesicht leicht zur Seite und schwenkte ihn verneinend hin und her. Die Ohren gesenkt gab sie ein leicht wimmerndes „Chirp“ von sich. Der Schmied reagierte jedoch nicht. Er zog nur seine Augenbrauen zusammen, atmete tief ein und kräftig wieder aus.
„Hübsche Schuppen“, gab der Handwerker überraschenderweise von sich. Kyndle gurrte leise und blickte den Schmied mit fragenden Augen an. Roland atmete erleichtert aus und wandte sich wieder dem Besitzer zu. „Ähem, ihr kennt euch nicht zufällig auch mit Edelsteinen aus?“, fragte er hoffnungsvoll. Der Grasxe schwenkte sein Gesicht langsam in seine Richtung und sah ihn ernst an. „Nein“, entgegnete er trocken und verschwand wieder in seiner Werkstatt, ohne dem Chaos seines Standes einen weiteren Blick zu schenken. Kurz darauf war wieder das Klirren auf dem Amboss zu hören.
Roland blieb wortlos vor der Schmiede stehen und warf einen leeren Blick zu Kyndle. „Na gut“, gab er von sich und verstaute den Beutel mit den Obsidiansplittern in seinem Rucksack. „Dann ab zum Markt, hoffentlich finden wir dort einen Stein, der rein genug ist, und noch in meiner Preisklasse liegt.“ Kyndle hüpfte über die am Boden liegende Greifenrüstung und stupste ihrem Partner leise gurrend an die Nase. Er lächelte sie an und fuhr mit seiner Hand langsam über ihre Wange. Ihr sanftes Schnurren gesellte sich zu dem hellen Funkeln ihrer tiefblauen Augen. „Gehen wir, bevor du noch mehr umwirfst“, flüsterte er ihr zu und löste sich aus dem angenehmen Sichtkontakt.
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„LOS, LOS, BEEILUNG!“, rief ein junger Mann schwer atmend zu seinem Kollegen und winkte ihn hektisch in seine Richtung, bevor er weiterrannte. „JAJA!“, meckerte der Zweite wütend. „Ist ja nicht so, als würde ich die Ärsche dahinten nicht sehen!“, fluchte er weiter und hielt sich erschöpft die Hand an die Seite. Hinter den beiden folgten vier Stadtwachen mit eiligen Schritten und waren dabei aufzuholen. Das kreischende Echo eines Greifen flog über ihnen hinweg und beide schreckten mit ihrem Kopf zwischen die Schultern.
Die beiden Männer verliessen die enge Seitengasse und bogen auf den Marktplatz ein. Auf dem belebten Platz herrschte das übliche, bunte Treiben der zahllosen Händler und Käufer. Die vielen Verkaufsstände bildeten mit den verteilten Gruppierungen einen verwinkelten, sich stets verändernden Irrgarten. In der Menge untergetaucht, versteckten sie sich unter einem abgedeckten Tisch. Die Wachen blieben vor dem Brunnen in der Mitte stehen und überflogen den Platz mit prüfendem Blick. Kräftige Klauenhände stampften provokativ auf den Boden auf und ein schnaubendes Zirpen war zu hören. Weissgraues Federfell zeigte sich unter der mit blauen Bändern geschmückten Rüstung. Wuchtige Panzerplatten bedeckten die vorderen Pranken des Greifen, welche über den Klauen scharfe Klingenspitzen aufwiesen. Kleine Kettenglieder hielten die Rüstungsteile zusammen und lagen überlappend über den Beinen, den Flanken und dem Nacken und Rücken. Der wuchtige Helm schloss sich breit bis über den leicht gebogenen Schnabel herab, aus welchem der aufmerksame Blick zweier rotgrüner Augen stach. Blaue Stoffbänder verzierten elegant die Rüstung und über die Brustplatte hing ein breites Halstuch herab. Darauf war das Symbol eines Federflügels parallel zu einer geraden Klinge zu sehen. Daneben zeigte sich ein Bild mit zwei parallelen Schwertern. Unter dem letzten Bild waren noch zwei waagrechte Striche übereinander zu erkennen. Anschliessend waren noch geschwungen Buchstaben aufgestickt. Der Name Artemiz war zu sehen. Stolz spreizte der Greif seine Flügel leicht aus. Die kleinen Kettenglieder seiner Flügelklingen klirrten dabei leise. Scharfe Metallteile zeigten sich an der Kante seiner Flügel und formten bei ausgestrecktem Arm eine bewegliche Klinge.
Kurz darauf sprang sein Reiter vom Sattel und warf einen schnellen Blick in die turbulente Umgebung. Nach schnellen, wortlosen Gesten verteilten sich die Wachen und begannen den Markt systematisch nach den Dieben abzusuchen.
Vollkommen ausser Atem hechelten die beiden Männer in ihrem Versteck und blickten sich gegenseitig grinsend an. „Verdammt! Ich hab dir gesagt, nur die Schatulle auf dem Tisch!“, meckerte er seinen Kollegen an und schlug ihm die Faust in die Schulter. „Aber nein! Der Herr musste sich noch über den bescheuerten Wandschmuck hermachen. Was unseren ganzen Zeitplan über den Haufen warf!“ „Jetzt reg dich doch nicht so auf, Harrison“, versuchte er ihn zu beschwichtigen. „Wir sind doch noch rechtzeitig weggekommen“, argumentierte er grinsend und griff sich in die Hosentasche. „Rechtzeitig?! Rechtzeitig würde bedeuten, dass uns keine Wachen am Arsch kleben!“, warf er ihm vor. Hektisch warf er einen scheuen Blick aus dem Versteck und schaute zu dem Greifen, welcher präzise den Marktplatz ausspähte. „Zu allem Pech mussten wir auch noch einem Karranter der Stadtwache in die Federn laufen.“
Harrisons Kollege zog einen oval geschliffenen Edelstein aus der Tasche und sah ihn wie verzaubert an. „Was glaubst du, ist der wert?“, fragte er ihn. Harrison betrachtete das Diebesgut nur kurz. Der grosse Stein hatte eine reine orangerote Farbe und glänzte makellos. Keine Kerbe oder andere Beschädigung war zu sehen. „Weiss nicht. Könnte sich aber noch als schwierig herausstellen, den wieder loszuwerden“ argumentierte er etwas erwartungslos und warf einen schnellen Blick unter der Deckung hervor. Ein braungrauer Greif trat in sein Blickfeld und ging mit gemütlichem Tempo an ihrem Versteck vorbei, während sein Blick aufmerksam zwischen den Auslagen herumwanderte. Dieser hatte ein rotes Markierungstuch um den Hals, das über seine Gefiederte Brust herabhing. Ein Greifenkopf mit einer kleinen Krone über der Stirn war darauf zu sehen, daneben befand sich das Abbild eines kleinen Beutels mit mehreren Münzen. Zuletzt reihten sich weisse Buchstaben zu dem Namen Matizz aneinander.
Er zog seinen Kopf wieder unter den Tisch und sah seinen Kollegen ernst an. „10 Sekunden, dann nach mir nach links hinter die Federn“, sprach er bestimmt und hielt ihm einen Zeigefinger vors Gesicht. Im Anschluss rollte er unter dem Tisch hervor und verschwand hinter dem Greifen, der an dem Versteck vorbeiging. Geduckt bewegte er sich hinter Matizz an der Wache vorbei und verschwand daraufhin hinter einigen Körben auf der anderen Seite. Er war gerade verschwunden, als eine weitere Wache an dem Tisch vorbei ging und suchend ihren Blick herumgehen liess. Nach wenigen Sekunden ging der Uniformierte weiter.
Harrisons Kollege rollte sich darauf auch unter dem Tisch hervor und machte die ersten Schritte auf die Körbe zu, wo sein Kollege in Deckung sass und ihn hektisch zu sich winkte. Er wollte sich den Edelstein wieder in die Hosentasche stecken, doch fiel er ihm dabei aus der Hand auf seinen Stiefel und rollte auf dem Platz zwischen die Leute. „Oh, Scheisse, Scheisse, Scheisse!“, murmelte er vor sich hin und folgte gebückt mit ausgestreckten Armen dem rollenden Stein. Matizz stoppte ruckartig und hielt seine gefiederten Flügel erschrocken hoch, als dieser junge Mann in gebückter Haltung seinen Weg kreuzte. Skeptisch betrachtete er ihn mit einem verwunderten Gurren. Der kurzweilige Schreck des Greifen blieb von den Wachen allerdings nicht unbemerkt. Harrison sah ihm völlig entgeistert hinterher und griff sich kopfschüttelnd an die Stirn. „Nein! Was macht er denn!?“, seufzte er genervt und eilte ihm hinterher.
„Komm her, du kleines Stück“, sagte er, als er den Stein endlich wieder in der Hand hielt. Mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht stand er auf und lächelte den Mann vor sich an. Verwundert blickte er dessen Uniform an, als sich seine erheiterte Mimik schlagartig auflöste. Der silberne Brustpanzer glitzerte im Schein der Nachmittagssonne und ein blauer Umhang fiel von den Schultern herunter. Durch das offene Visier des Helmes starrten ihn zwei wütende Augen an. „Ähm, oh!“, stotterte er vor sich hin, da wurde er auch schon von der Wache gefasst.
Der Soldat packte ihn an den Armen und hob ihn mühelos von den Füssen. „Nicht in meiner Schicht“, betonte er. „Achtung links!“, drang eine Stimme von der Seite. Die Wache wandte sich schnell der Quelle zu. Harrison sprang von einer Kiste her auf ihn zu und stiess dem Soldaten mit beiden Füssen in den Brustpanzer, was ihn schwungvoll zu Boden warf. Der junge Mann richtete sich wieder auf und schaute schnell zu dem umgeworfenen Wächter, bevor er seinen Kollegen auf die Füsse stellte. „Beweg dich!“, brüllte er ihm in die Ohren und rannte los. Sein Kamerad folgte unverzüglich, als er die anderen Wachen in der Menge sah. Das helle Kreischen des Karranters folgte kurz darauf, welcher die beiden ebenfalls bemerkt hatte. Die Soldaten halfen ihrem Kollegen hoch und nahmen sofort wieder die Verfolgung auf. Der gepanzerte Greif sprang elegant über die Gruppe auf die Strasse heraus und heftete sich ebenfalls an die Flüchtigen.
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Auf der Hauptstrasse in Richtung Marktplatz waren ein junger Mann und ein orangerotes Drachenweibchen unterwegs. „Zwei Karotten und eine Zwiebel“, listete er auf und legte seiner Drachin die Hand auf den Rücken, während sie sich weiter dem Marktplatz näherten. Kyndle schloss gurrend die Augen und gab ein bestätigendes „Churr“ von sich.
Lächelnd warf Roland seinen Blick nach vorne, wo bereits der lebhafte Markt zu sehen war. Plötzlich schallte das Echo eines Greifen von dem Marktplatz her und ein Mann bog schnell um die Ecke und rannte auf ihn zu. Nach einem kurzen Augenblick erkannte er Harrison, welcher es sehr eilig zu haben schien. Begrüssend hob Roland seine Hand und holte Luft für einen Satz. „Keine Zeit!“, hechelte Harrison, als er schnell winkend an ihm vorbei ging.
Roland und Kyndle blieben verdutzt stehen und blickten ihm etwas verwirrt hinterher. Ein wortloses Schulterzucken später sahen sich die beiden einmal an und wandten sich wieder der Marktstrassen zu.
Peng machte es, als Roland mit einem fremden Mann zusammenstiess. Die Wucht des Zusammenstosses warf Roland unsanft zu Boden, während der Unbekannte überrascht den nun liegenden Mann anstarrte. Kyndle sah ihren zu Boden geworfenen Partner und fauchte den Fremden mit gesenktem Kopf und angewinkelten Flügeln an. Der Unbekannte schreckte auf, als er die messerscharfen Reisszähne der Drachin erblickte. Panisch nahm er seine Beine in die Hand und überholte Harrison noch, bevor schliesslich beide in einer weiteren Seitenstrasse verschwanden. Kurz darauf hörte Roland hinter sich schwere und vor allem schnelle Schritte. Kräftig sprang der Karranter über beide hinweg und spreizte seine Flügel aus. In einer engen Kurve glitt er elegant über die Strasse und bog scharf in die gleiche Gase ab wie die Flüchtlinge. Das unverkennbare Kreischen des Greifen folgte kurz darauf, gefolgt von dem lauten Geräusch von brechendem Holz.
Etwas deplatziert schauten sich beide im Anschluss an. Schliesslich richtete sich Roland mit verzogenem Gesicht auf und rieb sich sitzend den Hinterkopf. „Autsch“, gab er mit einem schwachen Grinsen von sich. Kyndle platzierte sich neben ihm und legte schützend einen ihrer dunklen Flügel um ihn. Gurrend schmiegte sie ihren Kopf an seinen heran und leckte ihm tröstend über die Wange. Ihre sanfte Berührung brachte seinen schmerzenden Hinterkopf augenblicklich zum Schweigen. Mit seiner Drachin im Arm beobachteten beide eine Wächtergruppe, die den gleichen Weg nahm wie Harrison und dieser andere Kerl.
Den Blick in ihre funkelnden Augen geworfen, rieben beide verliebt die Nase aneinander. Der Türkishauch darin schimmerte hell heraus. „Wo waren wir?“, flüsterte er ihr zu. Kyndle gurrte sanft und antwortete mit einem leisen „Chirp“. Er lächelte sie warm an und strich ihr mit der Hand über die Wange. Sie schloss die Augen und lehnte sich leicht gegen seine Berührung. „Genau, zwei Karotten und eine Zwiebel.“ Kyndle stupste mit ihrer Zungenspitze sein Kinn an und löste ihre liebevolle Umarmung.
Roland stand auf und wollte gerade den ersten Schritt machen, als er etwas Glänzendes vor sich auf dem Boden sah. Verwundert griff er danach und hob überrascht einen ovalen Edelstein auf. Zwischen Zeigefinger und Daumen haltend drehte er ihn im Sonnenlicht. Kurz schaute er verwundert auf der Strasse auf und ab. Niemand schien diesen Stein verloren zu haben oder zu vermissen. „Na wenn das mal nicht ein merkwürdiger Zufall ist?“, dachte er sich. Kurz schaute er zu der Seitenstrasse, wo Harrisons Kollege verschwunden war. „Könnte das vielleicht von …“
Kyndle blickte den orangerot glänzenden Stein ganz verzaubert an und schwenkte aufgeregt ihren Schweif hin und her. Roland schielte zu der Drachin und zwinkerte ihr einmal zu. „Fast so schön wie du“, fügte er seinem verliebten Blick hinzu. Das Weibchen schloss gurrend die Augen und schmiegte ihren Kopf eng an Rolands Brust heran. Kurz darauf hob sie ihren Blick und schickte ein helles Funkeln aus der Türkisfärbung ihrer tiefblauen Augen zu ihm. Ihre Nasenspitze gegen seine gelehnt, sah sie ihn leise schnurrend verliebt an. Mit den sanften Vibrationen ihres Körpers fühlte er deutlich ihre seelische Verbindung.
Die schöne Berührung beendet, nickte er ihr zuversichtlich zu und verstaute den Stein bei den anderen Dingen im Rucksack. „Nur noch zwei Punkte auf der Liste“, zuversichtlich sah er sie an, „und dann geht‘s wieder nach Hause“, sprach er mit einem Lächeln auf den Lippen. Kyndle schloss gurrend die Augen und begann eilig voraus zu gehen. Roland beobachtete sie und schritt ihr hinterher in das bunte Treiben des belebten Marktplatzes.
Die Nase in die Luft gestreckt schnupperte die Drachin suchend umher. Mit einem bestätigenden „Meep“ verschwand sie in dem Marktchaos. Roland hatte einige Mühe, seine Drachin in der Menge nicht aus den Augen zu verlieren. Vor einem Stand blieb das flinke Weibchen glücklicherweise stehen. Zu seiner drachischen Partnerin aufgeholt, warf er einen Blick auf die ausgelegte Ware auf dem Tisch. Kohlköpfe, Kartoffeln, Tomaten und Zwiebeln lagen in grossen Mengen auf dem Tresen. Karottenbündel hingen von dem Balken des schmalen Daches herunter.
Roland zupfte zwei einzelne Karotten aus einem der Bündel und warf Kyndle ein schwaches Lächeln zu. „Na, hast du eine Zwiebel gefunden?“, fragte er amüsiert. Das Weibchen schnupperte neugierig in der grossen Auswahl. Mit einem hektischen Einatmen zog sie jedoch ihren Kopf leicht zuckend zurück und schloss die Augen. Ihr niedliches Niesen entfachte eine kleine Stichflamme, welche über die Zwiebeln hinwegfegte. Der Gemüsehändler konnte sich gerade noch rechtzeitig hinter seinen Stand ducken.
Mit einer rauchenden Mütze streckte er vorsichtig seinen Kopf wieder hoch und fand seine Zwiebeln als qualmende Aschehäufchen vor. Roland konnte sich sein Schmunzeln nicht verkneifen, als Kyndle ihren Kopf schüttelte und ihn mit ihren unschuldigen Augen ansah. Nur eine Zwiebel hatte das kurzweilige Inferno unbeschadet überstanden. „Die da“, deutete er grinsend zu dem Verkäufer und zeigte auf die einzige, nicht verkohlte Zwiebel.
„Und die anderen?!“, verlangte der Händler leicht wütend und verschränkte die Arme. „Schon klar“, entgegnete Roland und hob entschuldigend die Hände. „Wie viel?“ Der Verkäufer warf seinen Blick schnell über die zerstörte Ware und rechnete kurz zusammen. „4 Silberlinge“, sagte er trocken. „Hier“, gab Roland von sich und zahlte den Betrag ohne weiteres Grinsen.
Das Gemüse im Rucksack verstaut schlenderten er und Kyndle weiter durch die Stände, auf der Suche nach dem letzten Gegenstand auf der Liste. „Was für ein Medium soll ich bloss wählen?“, überlegte er sich und liess seinen Blick suchend über die vielen Möglichkeiten wandern. Kyndle streckte ihren Kopf über die breite Auslage und schnupperte an den verschiedenen Gegenständen: Halsketten, Ringe, Kopfbedeckungen und allerlei anderer Kleidungstücke. „Bloss keine Gehhilfe“, dachte er sich sarkastisch, als er an einigen Wanderstöcken vorbeiging. Mit einem aufgeweckten „Chirp“ schnappte die Drachin plötzlich mit dem Maul nach einem Gegenstand und kam damit Roland entgegen.
„Hast du etwas gefunden?“, erkundigte er sich neugierig und hielt seine offene Hand unter ihren Mund. Mit ihrem leisen Gurren liess sie einen linken Handschuh aus ihrem Maul fallen: Er war aus stabilem Leder gefertigt, wies einige kleine Abnutzungserscheinungen auf und hatte abgeschnittene Fingerspitzen. „Sicher?“, wandte er sich skeptisch an die Drachendame. Genau in diesem Moment fiel es ihm ein: Unterwegs trug er immer einen fingerlosen Handschuh an der rechten Hand, um Kyleths Zeichen vor neugierigen Blicken zu verbergen. Und dieser hier schien ein perfektes linkes Gegenstück zu sein. Sein Blick wanderte langsam von dem Handschuh in Kyndles saphirblaue Augen. Ein warmes Lächeln folgte auf den hellen Funken darin. „Warum auch nicht.“ Gelassen strich er seiner Drachin über die Stirn, was ihr ein aufgewecktes „Chirp“ entlockte.
„Den hier“, sprach Roland zu dem Verkäufer und hielt ihm den Handschuh entgegen, den Blick jedoch stets in Kyndles funkelnde Augen gerichtet.
Wieder auf der Hauptstrasse stehend schaute Roland prüfend zur Sonne hoch, welche den Horizont bereits rötlich verfärbte. „Der Markt ist ja ein regelrechter Zeitfresser, aber das schaffen wir noch rechtzeitig“, gab er zuversichtlich von sich und zog sich den Rucksack zurecht.
Es dauerte nicht lange, da stand Roland auch schon bei den Ställen am Stadttor und warf einen letzten Blick in den Rucksack. Als er sich von dem Vorhandensein aller gelisteten Gegenstände überzeugt hatte, warf er ihn sich wieder über die Schulter und stieg auf den Sattel seines Pferdes. „Und los!“, rief er zu Kyndle, welche freudig mit den Flügeln schlug und ein glückliches „Chirp“ zu ihm schickte. Mit einem schnellen Galopp verliess Roland die Hauptstadt und blickte zuversichtlich nach vorne. Kyndle rannte ihm mit sprunghaften Schritten hinterher, bevor sie ihre Flügel spreizte und sich nach einem kräftigen Sprung elegant in die Lüfte erhob.
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In Ironwing standen Aaros und Torben auf dem Trainingsplatz neben der Kaserne und warfen ihre nachdenklichen Blicke zur untergehenden Sonne, welche bereits im Horizont eintauchte. „Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit“, bemerkte Aaros zuversichtlich. „Nur nicht so voreingenommen, mein Freund“, entgegnete Torben. „Noch scheint die Sonne.“
Aaros setzte sich auf den Boden und schloss ruhig atmend die Augen. „Was für einen Bonus hast du eigentlich für ihn? Vorausgesetzt er ist wirklich rechtzeitig wieder hier“, wollte er wissen. Torben drehte sich zu ihm um. „Das wirst du früh genug erfahren“, antwortete er bestimmt. Aaros schmunzelte still und widmete sich seiner Meditation.
„Übrigens, hast du von dem Dragoner gehört?“, fragte Torben seinen Kollegen. „Dieses Geschöpf war nicht zu überhören“, erwiderte Aaros und rief sich das unverkennbare Geräusch von mächtigen Drachenflügeln in Erinnerung. „Was der wohl für ne Nachricht überbracht hat?“, dachte Torben laut vor sich. „Das hat Catherine völlig aus der Rolle gebracht. Sie hat seit seinem Auftauchen ihr Arbeitszimmer nicht mehr verlassen“, fügte er nachdenklich an. „Wir haben im Augenblick andere Prioritäten“, entgegnete Aaros darauf. „Also, eins nach dem Anderen.“ Torben senkte mit geschlossenen Augen seine Stirn und atmete gelassen aus. „Hast Recht“, sagte er und ging in zurück in die Kaserne.
Die Sonne brannte noch mit letzter Kraft am Horizont, als Roland eilig auf seinem Pferd in die Zufahrt von Ironwing einbog. Über ihm schwebte sein orangerotes Drachenweibchen mit eleganten Flügelschlägen hinweg. Vor dem geschlossenen Tor stemmte sein Reittier kräftig die Beine in den Boden und legte eine Vollbremsung hin, die ihn beinahe abgeworfen hätte. Kyndle flog leise über das Tor und schickte Roland ein vergnügtes „Chirp“ hinunter. „Hast es ja richtig eilig, Roland!“, begrüsste ihn einer der Wächter. Roland schwang sich vom Sattel und schritt an das Tor heran. „Kann man so sagen, Anthon“, antwortete er und blickte den Mann hoffnungsvoll an. „Komm, ich mach dir auf“, bot der Wächter grinsend an und zog das quietschende Tor langsam auf. „Danke!“, rief Roland, spurtete zwischen den geöffneten Durchgang und hielt auf die Kaserne zu.
Die beiden Wachen sahen dem jungen Mann lächelnd hinterher, bevor ihre Aufmerksamkeit wieder zur Strasse gezogen wurde. Schnaubend schüttelte das abgestellte Pferd den Kopf und stampfte mit einem Huf auf dem Boden. „Ich bring den nicht zum Stall“, sprach einer und verzog sich wieder auf seinen Posten an der Strasse. Der übrige Wächter atmete lange aus und sah etwas genervt zu dem Pferd.
Aaros sass noch immer in seiner Meditation vertieft auf der Wiese neben dem Trainingsgelände. Er öffnete langsam die Augen, als er das Schlagen von Drachenflügeln vernahm. Geschmeidig schwebte ein orangerotes Drachenweibchen auf die Grashalme nieder und setzte elegant zur Landung an. Einige letzte Schritte bremsten ihr Tempo zuletzt und sie hob mit ausgestreckter Brust stolz den Kopf. Den Blick zu Roland geworfen, welcher in dem Moment hinter der Hecke hervor kam, zauberte ein helles Funkeln in ihre blauen Augen und sie ging zufrieden gurrend auf ihn zu.
Er strich ihr im Vorbeigehen über die Nase und hielt auf Aaros zu. Roland stellte den Rucksack vor ihm auf den Boden und zeigte provokativ zu den letzten Sonnenstrahlen am Horizont. „Vor Sonnenuntergang!“, verkündete er laut und sah seinen Lehrer zuversichtlich an. Aaros schmunzelte mit geschlossenem Blick vor sich hin, bevor er aufstand und nach dem Rucksack griff. Mit der Tasche ging er zum Tisch mit den Trainingswaffen und warf einen kontrollierenden Blick auf dessen Inhalt.
„Wusst ich‘s doch, dass du es packst!“, rief Torben lobend zu Roland, als er langsam klatschend aus der Kaserne trat. Kräftig schlug er ihm mit der Faust in die Schulter und klopfte ihm auf den Rücken. „Aaros?“, warf er seinem Kollegen fordernd entgegen. Dieser griff in den Rucksack und holte die Flasche mit dem stronischen Branntwein heraus. Schmunzelnd sah er das Etikett auf der Flasche an, bevor er sie über die Schulter zu Torben warf. „Schön, du hast gewonnen“, gab er leicht enttäuscht von sich und wühlte weiter in der Tasche herum. Torben hielt grinsend die Flasche hoch und zwinkerte Roland einmal zu. Dieser stand da, wie bestellt und nicht abgeholt. „Was wird das denn hier?“, wunderte er sich gedanklich und blickte verwirrt seine Lehrmeister an. Kyndle konnte mit der Szene ebenfalls nicht viel anfangen und schaute auch skeptisch in die Runde.
Torben grinste weiter vor sich hin und machte sich auf den Weg zum Anwesen. „Was wird jetzt aus dem Bonus?“, fragte Roland neugierig. „Bekommst du morgen“, entgegnete er schnell und winkte ihm kurz zu, ohne ihn anzusehen. „Jetzt zeige ich Tim, was ein richtiges Beruhigungsmittel ist“, murmelte er laut vor sich hin und verschwand hinter der Hecke des Gartens.
„Scheint alles da zu sein“, sprach Aaros gelassen und wandte sich seinem Schüler zu. „Ehrlich gesagt, war ich gänzlich davon überzeugt, dass du zu spät kommen würdest.“ Verwundert blickte er ihn mit seinen trüben Augen an. „Aber du hast mich wieder einmal eines Besseren belehrt“, fügte er lobend an. Roland schmunzelte leicht verlegen „Na ja, ich hatte etwas Glück.“ Anschliessend warf er seinen frohen Blick zu Kyndle, die zufrieden gurrend auf ihn zu kam und ihren Kopf an seine Brust schmiegte. Mit geschlossenen Augen umarmte er seine Drachin und hielt sie fest. „Ohne dich hätte ich es nicht geschafft“, flüsterte er ihr zu.
Aaros verkniff sich sein Schmunzeln und legte Roland die Hand auf die Schulter. „Jetzt sieh zu, dass du was isst und eine Mütze voll Schlaf bekommst“, erklärte er mit ernster Stimmlage. „Der morgige Tag wird sicher auch lang werden.“ Roland sah seiner Drachin fordernd in die Augen. „Wer zuerst da ist?“, forderte er sie heraus und rannte auch gleich los in Richtung Hauptgebäude. Kyndle gab ein verspieltes „Meep“ von sich und nahm unverzüglich die Verfolgung auf.
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Die Nacht brach herein und Roland hatte einige Mühe Schlaf zu finden. Zu nervös und angespannt war er wegen des folgenden Tages. Nachdenklich starrte er zur Decke hoch und dachte daran, was ihn am nächsten Morgen alles erwarten würde. Nicht mal Kyndles sanftes Schnurren an seiner Seite vermochte seine Müdigkeit zu wecken. Sie im Arm haltend lag er den Grossteil der Nacht wach, bis schliesslich die ersten Sonnenstrahlen am Horizont zu sehen waren.
Der warme Schein der Sonne traf auf Kyndles Nase und kitzelte sie sanft aus ihrem Schlummer. Leise gurrend öffnete sie die Augen und stellte überrascht fest, dass sie alleine im Bett lag. Leicht nervös schnupperte sie herum und kroch unter der Decke hervor. Die Tür zu der schmalen Terrasse heraus war halb geöffnet und liess einen warmen Luftstoss ins Zimmer. Mit dem Kopf drückte sie die Tür weiter auf und erblickte ihren Partner. Roland stand halb angezogen am Geländer und stützte sich mit den Armen darauf ab, während sein Blick gedankenversunken über den Garten des Anwesens flog.
Das Weibchen stellte sich mit ihren Vorderläufen auf das Geländer und rieb mit ihrem Kopf sanft an Rolands. Er fühlte ihre samtenen Schuppen an seinem Gesicht und spürte ihr leises Schnurren. Lächelnd griff er mit einem Arm unter ihrem Kopf hindurch und presste sie etwas mehr an sich. „Morgen“, begrüsste er sie leise und rieb mit seiner Hand über ihre Wange. Sie schloss kurz die Augen und gab ein sanftes „Chirp“ von sich.
Den Blick wieder gehoben schaute er zu der Kaserne. Aaros und Torben standen bereits auf dem Trainingsplatz. „Dann wollen wir mal“, sprach Roland und ging zurück ins Zimmer, um sich anzuziehen. Kyndle warf ihren Blick auch einmal zu der Kaserne und folgte Roland kurz darauf mit einem aufgeweckten „Meep“ hinein.
Bei dem Trainingsplatz angekommen winkte Roland seinen Lehrern gähnend zu. „Pass auf, dass du keine Fliege verschluckst“, begrüsste ihn Torben mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Roland schloss bei seiner Bemerkung schmunzelnd die Augen und nickte einmal still. Kyndle schnaubte stark in Torbens Richtung und gab ein begrüssendes „Churr“ von sich, was ihm ein schwaches Lächeln ins Gesicht zauberte. „Komm, ich hab was für dich“, kündete Torben laut an und winkte Roland zu sich an den Tisch mit den Trainingswaffen. Verwundert schritt er heran. Er, sowie auch Kyndle, waren neugierig und musterten die Platte genau.
Auf dem Tisch lag ein längerer Gegenstand, welcher von einer dünnen Decke abgedeckt war. Mit gehobener Augenbraue blickte er zu seinem Lehrer. Torben begann zu lächeln und griff nach der Decke. „Da du mir geholfen hast, die gestrige Wette zu gewinnen …“, er machte eine kurze Pause und räusperte sich einmal, „ich meine, da du es geschafft hast, vor Sonnenuntergang zurückzukommen, bekommst du nun deinen Bonus.“ Mit diesen Worten zog er die Abdeckung von dem Gegenstand und zum Vorschein kam ein Langbogen, der aus Knochen gefertigt war.
Überrascht starrte Roland auf die meisterhaft gefertigte Distanzwaffe. „Nur zu“, sagte Torben, sah seinen Schüler zuversichtlich an und hielt ihm einen Pfeil entgegen. Roland griff zögerlich nach dem Bogen und strich einmal mit der Hand über das Material. Er war im Vergleich zu anderen Langbögen sehr leicht. Mit den Fingern strich er über das eingeritzte Zeichen oberhalb des Griffes. Eine leicht gekrümmte Feder war zu sehen. „Ein Meisterwerk aus der Schmiede des berühmten Meisters Griswolv.“ Rolands Augen weiteten sich, als Torben den Namen erwähnte. Vorsichtig zog er die Sehne zurück und stellte fest, dass sie eine enorm kräftige Spannung hatte.
„Den hab ich in früheren Zeiten benutzt“, fing Torben an und sah sich den Bogen nachdenklich an. „Er ist aus Drachenknochen gefertigt und die Bogensehne hat ebenfalls eine drachische Herkunft.“ Ein schwaches Schmunzeln wuchs in seinem Gesicht. „Was diesem Ding einen enormen Stoss verleiht, wenn man in der Lage ist ihn auch zu führen“, erklärte er. „Mit den richtigen Pfeilen holst du damit sogar Drachen in Rüstung vom Himmel. Aber mach dir am besten selbst ein Bild davon“, fügte er an und reichte ihm einen Pfeil.
Roland nahm das Geschoss von seinem Lehrer entgegen und legte es an der Sehne an. Die Strohpuppe, welche an einem Holzpflock aufgehängt war, angepeilt, hob er den Bogen und begann ihn zu spannen. Überrascht stellte er fest, dass diese Waffe wesentlich mehr Kraft für das Zurückziehen der Sehne benötigte, als er es von seinem Jagdbogen gewohnt war. Dies hielt ihn aber nicht davon ab, sein Ziel ruhig anzuvisieren. Weiter zog er den Pfeil zurück, bis die Spitze an seinen Fingern ankam. Schwach zitterte sein rechter Arm dabei, der etwas Mühe zu haben schien, die Spannung zu halten. Zusammen mit seinem langsamen Ausatmen lösten sich seine Finger und befreiten den Pfeil. Die Sehne peitschte knallend und mit enormer Geschwindigkeit raste das Geschoss zischend auf die Strohfigur zu.
Ein lautes Knacken war zu hören, als der der Übungspfeil den Kopf der Puppe durchschlug und sogar die Spitze des Holzpflockes dahinter mit abbrach, das Geschoss selbst zerbrach unter der Wucht des Aufschlages. Erstaunt die Augenbrauen gehoben schaute er zu der Figur, welche kopflos zusammensackte. „Wow!“, gab Roland überrascht von sich. Kyndle stiess ein lautes „Meep“ aus und machte einen kleinen Freudensprung. „So ist es recht!“, lobte ihn Torben und schlug ihm mit der Hand auf den Rücken.
Roland sah den Knochenbogen an, betrachtete lange die eingeschnitzte Feder und warf seinem Lehrer danach einen leicht skeptischen Blick zu. „Und den willst du mir wirklich geben?“ „Na klar. Ist doch eines Gefährten würdig, oder? Ausserdem stellst du dich damit ohnehin besser an als ich“, erklärte er zwinkernd und schlug ihm einmal leicht in den Oberarm.
„Da das nun geklärt ist, können wir uns nun den wichtigen Dingen widmen“, kam Aaros ernst dazwischen und stellte einen schweren Rucksack auf den Tisch. „Dein Ziel ist es Ansem zu finden“, betonte er. „Wo genau kann ich dir leider nicht sagen. Das musst du selbst herausfinden. Mein letzter Anhaltspunkt ist Ascom. Vermutlich kann dir jemand von dort weiterhelfen.“ „Ascom? Gut“, erwidere Roland zuversichtlich. „Es ist alles hier drin“, setzte Aaros erneut an und reichte ihm den vollen Rucksack. „Ich sag es gleich direkt heraus: Ansem ist verrückt, was die Sache mit dem Medium vermutlich etwas verkomplizieren könnte. Ich nehme an, dass sich sein Zustand über die Jahre noch weiter verändert hat.“ Roland sah ihn verwirrt an. „Und wie gehe ich dann vor?“, hakte er nach. „Dafür hast du ja die Karotten und die Zwiebel besorgt“, erklärte Aaros und warf seinen Blick kurz zur Seite. „Zumindest hat es damals bei mir so funktioniert.“
„Und wie funktioniert es?“, wollte Roland wissen. Aaros lächelte ihn an und sah ihm mit seinem trüben Blick in die Augen. „Das wirst du schon noch selbst herausfinden“, antwortete er schmunzelnd. „Und warum soll der verrückt sein?“
Aaros atmete einmal tief durch und sah nachdenklich zum Himmel hoch. „Ansem war der Erzmagier in der Gilde der drei Türme“, begann er zu erzählen. „Er verfügte über einen mächtigen Zugang und genoss im ganzen Land einen guten Ruf. Er verbrachte den Grossteil seines Lebens auf Reisen, um die Geheimnisse der Welt zu lüften. Den Gerüchten nach trieb ihn seine Gier nach Wissen selbst über die Grenzen dieser Welt hinaus. Es heisst, dass er es vollbracht hatte, das Portal im Drachendogma zu betreten, von wo aus er mit dem Chroniker sprechen konnte. Er bat den Wächter der Zeit um Einsicht in die unendliche Bibliothek. Nur war sein sterblicher Geist dieser Flut an Wissen nicht gewachsen und er verfiel dem Wahnsinn.“ Gelassen atmete Aaros aus. „Zumindest wird es so erzählt, vielleicht hat er auch nur die falschen Pilze gegessen.“
„Und nun soll mir ein Wahnsinniger mein Medium herstellen?“, fragte Roland skeptisch. „Wenn du es so formulierst … ja“, entgegnete Aaros schmunzelnd. Mit diesen Worten im Kopf warf er sich den schweren Rucksack über die Schulter und blickte angestrengt zu seiner Drachin. „Dann auf nach Ascom.“ Kyndle hob ihren Kopf leicht und gab mit halb geschlossenem Blick ein bestätigendes „Churr“ von sich.
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Die Sonne brannte von einem wolkenlosen Himmel herunter und verteilte ihre sengenden Strahlen über das Land. Schweissperlen rannten von Rolands Stirn, als er nach der langen Reise mit dem Pferd vor den ersten Häusern von Ascom stand. „Phuu!“, seufzte er angestrengt. Seine Drachin landete elegant neben ihm und blickte ihn friedlich gurrend an. Langsam bewegte er sein Reittier zu den Ställen. Das Pferd untergebracht, machte er die ersten Schritte auf der Hauptstrasse durch die Stadt.
Während sie der Strasse folgten, fing Roland an, Kyndle über die Stadt zu erzählen: „Wusstest du, Ascom war ursprünglich ein kleines Arbeiterdorf, welches von den Holzfällern des Flüsterwaldes und den Steinmetzen in den Steinbrüchen des Kaladrosgebirges gegründet wurde.“ Kyndle lauschte aufmerksam seinen Worten und sah ihn mit einem leisen Gurren an. „Als dann aber im Gebirge eine Goldader entdeckt wurde, fiel die kleine Siedlung auch einflussreichen Kaufleuten auf, worauf es zu einem explosionsartigen Wachstum kam. Nun floriert die Stadt mit dem Vertrieb von fein gearbeitetem Goldschmuck und dient vielen Händlern als sicherer Zwischenstopp.“
Roland blieb vor einem Gasthaus stehen und schaute nachdenklich zu dem Schild hoch, das über dem Eingang hing. Goldrausch war mit goldenen Buchstaben eingearbeitet. „Versuchen wir es hier“, sprach Roland zu seiner Drachin und blickte sie zuversichtlich an. Leise gurrend machte sie eine nickende Geste und schloss kurz die Augen. Er lächelte sie warm an und rückte noch schnell ihr Tuch um den Hals zurecht. Danach betrat er das Lokal, gefolgt von seiner drachischen Partnerin.
Das Innere des Wirtshauses war mit langen blauen Tüchern geschmückt, die in grossen hängenden Kurven an den Wänden angebracht waren. Auf jeder Seite des Raumes brannte ein grosses Feuer in einem prunkvollen Marmorkamin. Roland liess seinen Blick über die verteilten Tische schweifen. Ein leiser Lärmpegel herrschte in der Luft, doch verstummte dieser plötzlich, als Kyndle aufgetaucht war. Skeptisch warfen ihr die Gäste ihre erstaunten Blicke zu. Alle tuschelten über die Drachin und flüsterten unablässig untereinander. Roland schaute verwundert die vielen Gesichter an und schluckte einmal leer. Frischen Mut gefasst, schritt er zuversichtlich zum Tresen, wo er sogleich von einem mürrischen Mann angestarrt wurde. Kyndle folgte ihm zögerlich und blickte leicht nervös hin und her.
„Ich brauche ein paar Informationen“, sprach Roland freundlich. „Wir alle brauchen etwas“, entgegnete der Mann abweisend. Er hob beide Augenbrauen bei der scharfen Antwort von dem Wirt. „Trink was, oder zieh Leine“, fügte der Barmann leicht zornig an. „Und nimm das da gefälligst wieder mit!“ Provokativ zeigte er auf die orangerote Drachin. „Die Sorte wird hier nicht bedient.“ Kyndle sah den Mann darauf sehr misstrauisch an und schnaubte herablassend in seine Richtung. Roland zog verärgert die Augenbrauen zusammen und ballte seine linke Hand zur Faust. „Das da?!“, wiederholte er die Worte des Wirtes. Kyndle zeigte ihre Zähne und knurrte leise.
„Hey hey! Nur keinen Stress!“, kam ein fremder Mann dazwischen. „Wir wollen doch nichts tun, was wir später bereuen könnten.“ Etwas nervös blickte dieser zu dem Barmann. „Und mal ganz ehrlich. Mit den beiden würde ich mich nicht anlegen wollen“, beschwichtigte er ihn und deutete auf Roland und Kyndle. Der Wirt verzog mürrisch sein Gesicht und gab ein gleichgültiges Räuspern von sich. Mit einem Schulterzucken drehte er sich um und verschwand im Hinterzimmer. „Du musst ihn entschuldigen. Er hat was gegen Drachen. Du brauchst also ein paar Infos?“, wechselte der Mann schnell das Thema und führte Roland zu einem nahen Tisch.
Roland atmete einmal durch und lockerte seine Hand wieder, bevor er seiner Drachin beruhigt über die Stirn strich. Anschliessend warf er dem Streitschlichter einen verwunderten Blick zu. „So könnte man es sagen“, merkte er an und setzte sich zu ihm an den Tisch. „Ich bin übrigens Roland, das ist Kyndle.“ Er streichelte seiner Drachin dabei über den Nacken. Leise gurrend schloss sie kurz die Augen und gab ein schnelles „Churr“ von sich.
„Freut mich. Ich bin Walter“, entgegnete der Mann mit einem Grinsen im Gesicht. „Also was für Infos brauchst du?“ Roland stützte seine Ellbogen auf der Tischplatte ab und hielt sich die Hände zusammen. „Ich bin auf der Suche nach einem Mann namens Ansem“, begann er und senkte seine Hände. „Der soll hier in der Nähe von Ascom leben. Es mag vermutlich seltsam klingen, aber er soll verrückt sein oder so ähnlich.“ Walters Augen zuckten schnell, als er die Beschreibung des Mannes hörte.
„Einen Ansem kenne ich nicht, aber es gibt da so einen sonderbaren Kerl, der im Flüsterwald lebt“, erzählte Walter. „Wirklich?!“, hakte Roland nach. „Ja, älterer Mann, der schneit mehrere Male im Jahr in die Stadt rein und labert irgendetwas von Zeit, Magie, Bestimmung und Suppe.“ Walter rotierte bei seinen Worten mit seinen Händen. Verwundert hob Roland seine Augenbrauen. „Das klingt ganz nach dem Mann, den wir suchen.“
„Was wollen du und dein Haustier denn von dem?“, fragte Walter neugierig. Kyndle warf dem Mann bei dem Wort Haustier einen leicht verärgerten Blick zu und schnaubte einmal stark. Roland atmete ebenfalls tief durch. „Sie ist kein Haustier“, antwortete er ernst. „Nein?“, hakte Walter misstrauisch nach. „Nein. Sie ist meine Partnerin.“ Kyndle lehnte ihren Kopf an seine Schulter, als er es aussprach und begann leise zu Schnurren.
Walters Blick wich schlagartig einer finsteren Miene. „Dann raus hier!“, schimpfte er und stand ruckartig auf, was ihm die Aufmerksamkeit der anderen Gäste einbrachte. Roland und Kyndle sahen den Mann überrascht an. „Hast du nicht gehört, du Missgeburt. Pack dein Scheissvieh und verzieh dich!“, fügte er wütend an und zeigte zum Ausgang. Roland stand auf und sah ihn verärgert an. „Pass auf, was du…“ Er brach seine Drohung jedoch ab, als er bemerkte, wie alle anderen Gäste ebenfalls aufgestanden waren und finster in seine Richtung blickten.
Kyndle zeigte ihre Zähne und knurrte mit geschlitzten Pupillen die vielen böswilligen Gesichter an. Roland hielt beruhigend seine offene Hand in ihr Blickfeld, was ihr leises Knurren verstummen liess. Etwas verwirrt sah sie ihren Partner an. Roland betrachtete ernst die vielen wütenden Personen. Einige scheuten sich nicht, ihre Meinung zu äussern: „Das ist wider die Natur!“, „Was für eine Drecksau!“, „Lass dich von Wyverex holen!“, „Sowas wie euch brauchen wir hier nicht!“, schimpften sie durcheinander.
Roland warf einen flüchtigen Blick zu Kyndle. „Was ist nur mit denen los?“, dachte er sich. Er bemerkte eine schwache Träne in ihren Augen und ihr Blick senkte sich langsam zu Boden. Mit geschlossenen Augen atmete Roland tief ein und hielt seiner Drachin eine Hand an die Flanke. „Wir sind hier fertig“, sprach er angespannt und führte Kyndle zum Ausgang. Misstrauisch beobachteten sie alle, bis sie unter dem Türrahmen standen. „Ein zweiter Hector, so ein Arschloch!“, hallte Walters Stimme in seinen Rücken. Roland blieb stehen, während Kyndle mit gesenktem Blick nach draussen ging. Aufrecht stehend starrte er zu ihm und ballte seine rechte Hand zur Faust. Ein schwaches blaues Glühen schimmerte unter seinem Handschuh hervor und er fühlte ein Pulsieren in seinem Arm. „Tu uns endlich einen Gefallen und verpiss dich!“, fluchte Walter erneut und zeigte auf die Tür.
Kyndle brachte etwas Abstand zwischen sich und dieses so plötzlich unfreundliche Lokal. Mit trauriger Miene setzte sie sich unter einen nahen Baum und blickte zu der Taverne zurück. Intensiv dachte sie über die Worte dieser Leute nach. „Warum soll das wider die Natur sein?“ Den Blick niedergeschlagen gesenkt liess sie ihre Ohren hängen. „Ich liebe ihn und er liebt mich. Was soll daran denn falsch sein?“
Ein dumpfer Knall war zu hören und eine dreckige Staubwolke trat aus der Tür heraus. Roland kam mit langsamen Schritten aus dem dichten Schleier und wischte sich die Hände ab. Etwas erschöpft blieb er vor seiner Drachin stehen und atmete tief ein. „Arschlöcher!“, dachte er in sich hinein und warf Kyndle einen aufmunternden Blick zu. Leise gurrend sah sie zu ihm hoch und schloss die Augen zur Hälfte. „Können wir?“, fragte er sie und deutete mit seinem Kopf in Richtung Wald. Sie gab still ein langsames Kopfnicken von sich und stand auf.
Kurze Zeit später stand Roland vor den ersten Bäumen des Flüsterwaldes und warf einen müden Blick zur Sonne hoch. Die Hand zwischen die hitzigen Strahlen und sein Gesicht gehalten atmete er stark aus. Er zog sich den Rucksack zurecht und schaute zu seiner Drachin, welche immer noch niedergeschlagen hinter ihm her trottete.
Er verspürte ein flaues Gefühl in seiner Magengegend, welches ohne Zweifel von ihr kam. „Das kann ja heiter werden“, dachte er sich und senkte seinen Blick zu Boden.
Unsicher über ihr Verhalten betrat er mit einer niedergeschlagenen Kyndle den Flüsterwald. Die herablassenden Kommentare aus Ascom schwirrten ihm ebenfalls noch im Gedächtnis umher. Aber trotzdem machte er einen Schritt nach dem anderen zwischen die Bäume, auf der Suche nach diesem wahnsinnigen Magier. Seine Drachin folgte ihm mit niedergeschlagener Haltung.
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