Betrachtungen über das Alleinsein
11 years ago
General
Ein Text, den ich vor Jahren schrieb, aber noch immer gleich gültig ist wie damals. Ich bin fast sowas wie stolz auf ihn, darum "rette" ich ihn hierhin rüber..
Alleinsein und Einsamkeit werden in unserer heutigen Zeit oftmals gleichgestellt. Doch sind sie das auch?
Was ist Alleinsein? Alleinsein ist, wenn man ohne Menschen in seiner Umgebung ist. So gut wie jeder Mensch ist tagtäglich für gewisse Zeit allein, so gut wie jeder Mensch ist tagtäglich auch nicht allein. Alleinsein ist physisches, körperliches Alleinsein, es ist ein harmloses Alleinsein, nichts als ein Status des Körpers.
Alleinsein bedrückt die Menschen gemeinhin nicht. Manche Menschen mögen es nicht, versuchen es zu verhindern, andere mögen es, aber grundsätzlich ist Alleinsein zahnlos, es besitzt keinen Schrecken, es kann niemandem schaden.
Einsamkeit auf der anderen Seite ist nicht gleich Alleinsein. Einsamkeit ist eine besondere Art von Alleinsein, ein seelisches, mentales Alleinsein. Einsamkeit und Alleinsein decken sich nicht zwingend, man kann inmitten von Menschenmassen einsam sein und man kann auch nicht einsam und dennoch allein sein. Einsamkeit ist destruktiv, es zerstört. Einsamkeit ist für den Menschen das, was Rost für einen Metallkörper ist, es zerfrisst ihn, löst ihn auf, vernichtet ihn. Kaum ein Gefühl ist auf lange Zeit gesehen so gefährlich und zerstörerisch wie die Einsamkeit. Sie ist die Lepra der Seele.
Manche Menschen denken, dass sie nach Einsamkeit suchen, doch nach was es ihnen wirklich verlangt ist das Alleinsein. Kein Mensch, der die Einsamkeit in einem positiven Lichte zeigt, hat begriffen, was sie bedeutet, hat sie wahrlich erlebt, er verwechselt sie mit dem Alleinsein, so wie eine giftige Natter mit einer Blindschleiche verwechselt werden könnte. Sicherlich, die Einsamkeit hat positive Nebenerscheinungen, doch das ist, wie wenn man sagen würde, dass der Krieg diese hat, sie sind unbedeutend im grossen ganzen.
Es gibt zwei Arten von Menschen, die Extroverten und die Introverten (und diverse Stufen dazwischen). Diese Bezeichnungen beziehen sich hauptsächlich auf die Einstellung des Menschen auf das Alleinsein. Extroverte hassen das Alleinsein, sie suchen, sich mit so vielen Menschen wie möglich zu umgeben. Introverte auf der anderen Seite blühen im Alleinsein auf, sie lieben es, Zeit mit nur sich allein zu verbringen. Im Umkehrschluss hassen sie aber auch das Nicht-Alleinsein, sie meiden Menschenmengen, sie versuchen sich grossen Ansammlungen zu entziehen.
Dadurch, dass die meisten Menschen Extrovert sind, hat sich der Gesellschaft das Gefühl aufgezwungen, dass Introvertiertheit etwas Schlechtes oder zumindest etwas Seltsames sei. Bezeichnungen für sie wurden zu Beleidigungen umgemünzt - wer denkt heute beim Begriff "asozial" an einen Menschen, der es schlicht nicht mag, in einem Meer von Leibern zu versinken und nicht an jemanden, der tut, was er kann, um das Wohlsein anderer zu stören? Dies ist keine neue Entwicklung, selbst Aristoteles sagte, dass derjenige, der von Natur und nicht durch zufällige Umstände ausserhalb der Gesellschaft lebte, entweder ein Tier oder ein Gott sei.
Nun sollte man denken, dass ein Introvertierter gegen die Einsamkeit gefeit sei, dass nur Extroverte davon betroffen werden können. In der Realität sieht das eher gegensätzlich aus. Beide Arten von Menschen können von Einsamkeit befallen werden, denn wie schon dargelegt gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Alleinsein, die Präferenz für letzteres hilft gegen ersteres keineswegs. Bei beiden kann sich die Einsamkeit zu einem Teufelskreis auswachsen. Einer der grössten Gründe für diesen Zirkel ist das Selbstvertrauen, oder besser gesagt das Fehlen davon. Je länger jemand alleine ist, desto mehr schwindet dieses. Dies merkt der Einsame, doch das Wissen darum verstärkt es nur, wodurch er noch weniger Chancen hat, wodurch es sich wiederum noch mehr verstärkt und immer so weiter. Für einen Extrovert besteht hingegen eine gute Chance, aus dem Kreis auszubrechen, die für einen Introvertierten wenig bis gar nicht besteht.
Introverte werden, wie schon dargelegt, üblicherweise gemieden, sei das bewusst oder unbewusst. So gut wie niemand aus extrovertierten Kreisen will seine Zeit an jemanden verschwenden, der nie Willens ist, zu sogenannten "sozialen Anlässen" zu erscheinen.
Gleichzeitig kann der Introvertierte keine neuen Bekanntschaften aufbauen, da er sich an den Orten, die für ebendieses gedacht sind, nicht entfalten kann. Er fühlt sich in überfüllten Bars mit lauter Musik nicht ausgelassen und fröhlich wie es die Extroverten tun, nein, im Gegenteil, er fühlt sich eingeengt, beinahe klaustrophobisch. Eventuelle extroverte Leser dieses Textes können es sich eventuell so vorstellen, als würden ihnen von allen Seiten Unbekannte in die Ohren Brüllen. Es ist ein unangenehmes, beängstigendes Gefühl, ein Gefühl, das den Wunsch aufkommen lässt, so bald als möglich zu verschwinden. Unter solchen mentalen Eindrücken ist es so gut wie unmöglich, Kontakte zu schliessen.
Zusammenfassend ist also zu sagen, dass der Introverte sowohl gemieden wird, als auch selber solche Orte meidet und selbst wenn er sich dazu bewegen kann, an einen solchen Ort zu gehen, ist es ein fruchtloses Unterfangen.
Man sagt, der Mensch sei wie eine Insel. Der einsame Mensch ist eine verdorrende, lebensfeindliche Insel voller Asche und Staub, ein Hort des seelischen Todes, eine Kultstätte der Verzweiflung. Je weiter die Zeit voranschreitet, desto mehr schwindet das Leben, desto weniger kann neues Leben Fuss fassen. Doch die extroverte Insel ist Teil eines Archipels, unter Umständen gar eines Atolls. Sie hat Inseln um sich, die vor Leben pulsieren, die dieses Leben an sie weitergeben kann. Eine introverte Insel jedoch ist eine schwimmende Insel inmitten eines Ozeans. Kein Samen des Lebens wird sie je erreichen, es sei denn durch enormen Zufall, und mit jeder vergehenden Sekunde treibt sie weiter von allem anderen Weg, bis schliesslich, irgendwo im endlosen Meer der Verzweiflung, der Letzte funken des Lebens erlischt und sie in den Fluten untergeht.
Ich wage zu behaupten, dass kaum ein Extrovertierter je kennengelernt hat, was echte, lang anhaltende Einsamkeit ist, ja, gemeinhin vergiessen sie schon Tränen, nur weil sie ihren Partner eine Woche nicht sehen können und nennen das „Einsamkeit“. "Einsamkeit" trotz Beziehung, "Einsamkeit" trotz lieben und geliebt werden, ein blanker Hohn, ein spucken in's Gesicht eines Jeden, der schon das zweifelhafte Vergnügen hatten, echte Einsamkeit zu erdulden.
Was nützt es, wenn das Meer voller Fische ist, wenn man mitten in der Wüste festsitzt?
"Allein ist der Mensch ein unvollkommenes Ding; er muss einen zweiten finden, um glücklich zu sein."
- Blaise Pascal, Wissen des Herzens: Gedanken und Erfahrungen des großen abendländischen Philosophen
You're an interesting species. An interesting mix. You're capable of such beautiful dreams, and such horrible nightmares. You feel so lost, so cut off, so alone, only you're not. See, in all our searching, the only thing we've found that makes the emptiness bearable, is each other.
- Carl Sagan
"Alleinsein kann es erst geben, wenn die Einsamkeit aufgehört hat."
- Jiddu Krishnamurti, Über die Liebe
Alleinsein und Einsamkeit werden in unserer heutigen Zeit oftmals gleichgestellt. Doch sind sie das auch?
Was ist Alleinsein? Alleinsein ist, wenn man ohne Menschen in seiner Umgebung ist. So gut wie jeder Mensch ist tagtäglich für gewisse Zeit allein, so gut wie jeder Mensch ist tagtäglich auch nicht allein. Alleinsein ist physisches, körperliches Alleinsein, es ist ein harmloses Alleinsein, nichts als ein Status des Körpers.
Alleinsein bedrückt die Menschen gemeinhin nicht. Manche Menschen mögen es nicht, versuchen es zu verhindern, andere mögen es, aber grundsätzlich ist Alleinsein zahnlos, es besitzt keinen Schrecken, es kann niemandem schaden.
Einsamkeit auf der anderen Seite ist nicht gleich Alleinsein. Einsamkeit ist eine besondere Art von Alleinsein, ein seelisches, mentales Alleinsein. Einsamkeit und Alleinsein decken sich nicht zwingend, man kann inmitten von Menschenmassen einsam sein und man kann auch nicht einsam und dennoch allein sein. Einsamkeit ist destruktiv, es zerstört. Einsamkeit ist für den Menschen das, was Rost für einen Metallkörper ist, es zerfrisst ihn, löst ihn auf, vernichtet ihn. Kaum ein Gefühl ist auf lange Zeit gesehen so gefährlich und zerstörerisch wie die Einsamkeit. Sie ist die Lepra der Seele.
Manche Menschen denken, dass sie nach Einsamkeit suchen, doch nach was es ihnen wirklich verlangt ist das Alleinsein. Kein Mensch, der die Einsamkeit in einem positiven Lichte zeigt, hat begriffen, was sie bedeutet, hat sie wahrlich erlebt, er verwechselt sie mit dem Alleinsein, so wie eine giftige Natter mit einer Blindschleiche verwechselt werden könnte. Sicherlich, die Einsamkeit hat positive Nebenerscheinungen, doch das ist, wie wenn man sagen würde, dass der Krieg diese hat, sie sind unbedeutend im grossen ganzen.
Es gibt zwei Arten von Menschen, die Extroverten und die Introverten (und diverse Stufen dazwischen). Diese Bezeichnungen beziehen sich hauptsächlich auf die Einstellung des Menschen auf das Alleinsein. Extroverte hassen das Alleinsein, sie suchen, sich mit so vielen Menschen wie möglich zu umgeben. Introverte auf der anderen Seite blühen im Alleinsein auf, sie lieben es, Zeit mit nur sich allein zu verbringen. Im Umkehrschluss hassen sie aber auch das Nicht-Alleinsein, sie meiden Menschenmengen, sie versuchen sich grossen Ansammlungen zu entziehen.
Dadurch, dass die meisten Menschen Extrovert sind, hat sich der Gesellschaft das Gefühl aufgezwungen, dass Introvertiertheit etwas Schlechtes oder zumindest etwas Seltsames sei. Bezeichnungen für sie wurden zu Beleidigungen umgemünzt - wer denkt heute beim Begriff "asozial" an einen Menschen, der es schlicht nicht mag, in einem Meer von Leibern zu versinken und nicht an jemanden, der tut, was er kann, um das Wohlsein anderer zu stören? Dies ist keine neue Entwicklung, selbst Aristoteles sagte, dass derjenige, der von Natur und nicht durch zufällige Umstände ausserhalb der Gesellschaft lebte, entweder ein Tier oder ein Gott sei.
Nun sollte man denken, dass ein Introvertierter gegen die Einsamkeit gefeit sei, dass nur Extroverte davon betroffen werden können. In der Realität sieht das eher gegensätzlich aus. Beide Arten von Menschen können von Einsamkeit befallen werden, denn wie schon dargelegt gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Alleinsein, die Präferenz für letzteres hilft gegen ersteres keineswegs. Bei beiden kann sich die Einsamkeit zu einem Teufelskreis auswachsen. Einer der grössten Gründe für diesen Zirkel ist das Selbstvertrauen, oder besser gesagt das Fehlen davon. Je länger jemand alleine ist, desto mehr schwindet dieses. Dies merkt der Einsame, doch das Wissen darum verstärkt es nur, wodurch er noch weniger Chancen hat, wodurch es sich wiederum noch mehr verstärkt und immer so weiter. Für einen Extrovert besteht hingegen eine gute Chance, aus dem Kreis auszubrechen, die für einen Introvertierten wenig bis gar nicht besteht.
Introverte werden, wie schon dargelegt, üblicherweise gemieden, sei das bewusst oder unbewusst. So gut wie niemand aus extrovertierten Kreisen will seine Zeit an jemanden verschwenden, der nie Willens ist, zu sogenannten "sozialen Anlässen" zu erscheinen.
Gleichzeitig kann der Introvertierte keine neuen Bekanntschaften aufbauen, da er sich an den Orten, die für ebendieses gedacht sind, nicht entfalten kann. Er fühlt sich in überfüllten Bars mit lauter Musik nicht ausgelassen und fröhlich wie es die Extroverten tun, nein, im Gegenteil, er fühlt sich eingeengt, beinahe klaustrophobisch. Eventuelle extroverte Leser dieses Textes können es sich eventuell so vorstellen, als würden ihnen von allen Seiten Unbekannte in die Ohren Brüllen. Es ist ein unangenehmes, beängstigendes Gefühl, ein Gefühl, das den Wunsch aufkommen lässt, so bald als möglich zu verschwinden. Unter solchen mentalen Eindrücken ist es so gut wie unmöglich, Kontakte zu schliessen.
Zusammenfassend ist also zu sagen, dass der Introverte sowohl gemieden wird, als auch selber solche Orte meidet und selbst wenn er sich dazu bewegen kann, an einen solchen Ort zu gehen, ist es ein fruchtloses Unterfangen.
Man sagt, der Mensch sei wie eine Insel. Der einsame Mensch ist eine verdorrende, lebensfeindliche Insel voller Asche und Staub, ein Hort des seelischen Todes, eine Kultstätte der Verzweiflung. Je weiter die Zeit voranschreitet, desto mehr schwindet das Leben, desto weniger kann neues Leben Fuss fassen. Doch die extroverte Insel ist Teil eines Archipels, unter Umständen gar eines Atolls. Sie hat Inseln um sich, die vor Leben pulsieren, die dieses Leben an sie weitergeben kann. Eine introverte Insel jedoch ist eine schwimmende Insel inmitten eines Ozeans. Kein Samen des Lebens wird sie je erreichen, es sei denn durch enormen Zufall, und mit jeder vergehenden Sekunde treibt sie weiter von allem anderen Weg, bis schliesslich, irgendwo im endlosen Meer der Verzweiflung, der Letzte funken des Lebens erlischt und sie in den Fluten untergeht.
Ich wage zu behaupten, dass kaum ein Extrovertierter je kennengelernt hat, was echte, lang anhaltende Einsamkeit ist, ja, gemeinhin vergiessen sie schon Tränen, nur weil sie ihren Partner eine Woche nicht sehen können und nennen das „Einsamkeit“. "Einsamkeit" trotz Beziehung, "Einsamkeit" trotz lieben und geliebt werden, ein blanker Hohn, ein spucken in's Gesicht eines Jeden, der schon das zweifelhafte Vergnügen hatten, echte Einsamkeit zu erdulden.
Was nützt es, wenn das Meer voller Fische ist, wenn man mitten in der Wüste festsitzt?
"Allein ist der Mensch ein unvollkommenes Ding; er muss einen zweiten finden, um glücklich zu sein."
- Blaise Pascal, Wissen des Herzens: Gedanken und Erfahrungen des großen abendländischen Philosophen
You're an interesting species. An interesting mix. You're capable of such beautiful dreams, and such horrible nightmares. You feel so lost, so cut off, so alone, only you're not. See, in all our searching, the only thing we've found that makes the emptiness bearable, is each other.
- Carl Sagan
"Alleinsein kann es erst geben, wenn die Einsamkeit aufgehört hat."
- Jiddu Krishnamurti, Über die Liebe
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